Lettland, Estland und Litauen sind zusammengenommen ein Hort sakraler, kultureller und mittelalterlicher Schätze und tauchen trotzdem kaum auf den Karten vieler Reisender auf. Das muss sich ganz dringend ändern!
Die klassischen Zwiebeltürme der Alexander-Newski-Kathedrale, ein Blick vom Kiek in de Kök in die Küchen der Stadt oder das pittoreske Kunstmuseum Kadriorg: Tallinn, Hauptstadt Estlands und Kulturhauptstadt 2011 birgt viele wunderbare Kulturschätze, die zum Staunen und Genießen anregen. Die Altstadt beispielsweise lädt mit einer unvergleichlichen Kombination aus historischer Architektur und modernster Kultur zum Verweilen ein. Eine Pause in einem kleinen Café, im Schatten der gotischen Türme und Mauern, bietet sich hervorragend an.
Die älteste Apotheke Nordeuropas findet sich ebenfalls in der Hauptstadt. Von den Estländern „Raeapteek“ genannt, liegt die alte „Ratsapotheke“ am Raekoja Plats. Neben den gängigen europäischen Einkaufszentren, die hier sogar sonntags geöffnet haben, gibt es auch kleine Geheimtipps. So zum Beispiel den Markt hinter dem Bahnhof. Der „Balti Jaama Turg“ hält viele bunt gemischte Kuriositäten für jede Gelegenheit bereit: Lebensmittel, Bekleidung oder einfach nur antiker Krimskrams lassen hier das Trödler- und Schnäppchenjägerherz höher schlagen. Für Liebhaber von Büchern und ledergebundenen, wertigen Fotoalben bietet sich die Katariina Gilde an: Ein kleiner Laden für allerlei handwerklich gefertigte Souvenirs, gelegen in einem versteckten, mittelalterlichen Gässchen. Gässchen gehören zu Tallin wie die Zwiebeltürme der Kathedrale. Meistens sind sie, treu dem hanseatischen Stil der Stadt, kopfsteingepflastert und teilweise so eng, dass man bei einem Blick nach oben meinen könnte, die Häusergiebel berührten sich.
Im Land der Geister
Über 1.000 Herrenhäuser und Schlösser gibt es in Estland, viele davon in Tallinn. Dem mystischen Flair der Stadt ist es nicht abträglich, dass solch alte Gebäude auch immer die eine oder andere Schauergeschichte mit sich bringen, die gern beim gemütlichen Zusammensitzen erzählt wird. So wurde beispielsweise das Gustav-Adolf-Gymnasium in Tallinn in ein altes Kloster hineingebaut. Wenn die Klassenräume leer sind und alle Schüler und Lehrer bereits Feierabend haben, soll man dort die Mönche über die Steintreppen tappen und seufzen hören. Eine weitere geläufige Geschichte ist die der weißen Dame von Haapsalu. Sie soll in Vollmondnächten als weißer Schemen auf der inneren Wand der Kapelle von Haapsalu erscheinen. Die Geschichte der weißen Dame geht viele Jahre zurück, bis ins 13. Jahrhundert.
Damals, so erzählt man sich, seien Kanoniker, also Chorsänger, zu einem Leben in Enthaltsamkeit und Keuschheit verpflichtet gewesen. Frauen durften die Bischofsburg, in der die Kanoniker residierten, nicht betreten, sonst drohte die Todesstrafe. Der Legende nach, verliebte sich ein Kanoniker jedoch unsterblich in ein estnisches Mädchen. Er verkleidete sie also eines Tages als Junge und schmuggelte sie in die Bischofsburg. Dort lebten sie einige Jahre zusammen, ohne aufzufallen. Als aber der Bischof die Burg besuchte, lüftete er das gut gehütete Geheimnis. Der Kanoniker kam zur Bestrafung ins Gefängnis und verhungerte dort, während man das Mädchen mit einem Stück Brot und einem Krug Wasser einmauern ließ. Laut der Legende hörte man ihre Wehklagen noch einige Tage, bis sie verstummte. Noch heute zeigt sich die weiße Dame in der Vollmondnacht im August. Sie gilt in Estland als Zeichen unsterblicher Liebe. Zu ihren Ehren wird seit einigen Jahren jährlich das Musikfestival Valge Daami Aeg (Zeit der weißen Dame) zur passenden Vollmondnacht abgehalten.
Stadt der Zukunft
Trotz des mittelalterlichen Aussehens ist Tallinn auch eine Stadt des technischen Fortschritts. Unter dem Namen „Tiigrihüppe“ wurde vor wenigen Jahren ein Projekt etabliert, das Innovationen und moderne Medien nahtlos in den Alltag der Esten integrierte. So können alle Esten bei Wahlen ihre Stimme im Internet abgeben und in Restaurants oder auch Taxis per SMS bezahlen. In ganz Tallinn gibt es rund 30 verschiedene WLAN Hotspots, teilweise an den kuriosesten Orten wie beispielsweise am Strand oder im Wald. Dabei nicht eingerechnet sind Hotspots an jeder Schule, Universität und Bibliothek. Die Esten sprechen von sich selbst gerne als „e country“, was so viel heißen soll wie „elektrisches/fortschrittliches Land“. Der kostenlose Internetzugang gilt dort mittlerweile sogar als Grundrecht für jedermann.
Dos & Don’ts in Tallinn & Estland
Do:
- Am Festival „Zeit der weißen Dame“ teilnehmen
- Die Altstadt Tallins erkunden und fantastische kleine Lädchen entdecken
- Zwischen Mai und Mitte Oktober reisen – die beste Reisezeit!
- Klassische estnische Küche probieren: Blutwurst und Sauerkraut – schlicht und gut!
- Estnisches Bier ist ebenfalls sehr empfehlenswert
- Bei einheimischen Familien eingeladen? Blumen mitbringen!
Don’t:
- Esten als „Balten“ bezeichnen, oder Estland mit Litauen/Lettland verwechseln!
- Bahn fahren. Das dauert in Estland ewig, deshalb: lieber den Bus nehmen! Das ist schneller und günstiger.
- Zu überschwänglich sein. Esten sind reserviert und ruhig, aber trotzdem sehr freundlich. Gern dürft ihr den ersten Schritt machen, aber erwartet nicht gleich zu viel!