Interview 10. Mai 2016

Kennst du das Volk der Imazighen?

WORLD INSIGHT

Unser Team in Marokko besteht vor allem aus Mitgliedern des Imazighen-Volkes, die meisten davon stammen aus dem Dorf R’bat im Hohen Atlas. Abdellah El Asely ist einer von ihnen und engagiert sich sozial für seine Heimat.

Schon die Jüngsten begrüßen uns mit einem herzlichen Lachen!

Auf manchen unserer Reiserouten durch den Hohen Atlas übernachten wir dort auch und kommen so ganz eng in Kontakt mit Land und Leuten. Abdellah El Asely, einer unserer Country Manager in Marokko, sorgt nicht nur für den reibungslosen Ablauf unserer Touren, sondern er engagiert sich auch für die Frauen und Mädchen im Dorf. Im Rahmen eines sozialen Projektes, das Abdellah ins Leben gerufen hat, verhilft er ihnen zu einer ordentlichen Bildung. Über die Freuden, Sorgen und Nöte des Imazighen-Volkes sprach mit ihm unser Redaktionsmitglied Oleg Zurmühlen.


Abdellah, was ist eigentlich der Unterschied zwischen den Imazighen und den Arabern?

Imazighen und Araber verfügen über komplett unterschiedliche Kulturen. Die Sprache, die Bräuche und die Traditionen sind verschieden. Das Einzige, was die beiden inzwischen eint, ist die gemeinsame Religion, der Islam. Vor der Eroberung Nordafrikas durch die Araber verehrten die Imazighen die Sonne und Bäume. Sie nahmen zwischenzeitlich den jüdischen und den christlichen Glauben an. Als die Araber Nordafrika erreichten, flüchtete das Imazighen-Volk von den fruchtbaren Ebenen und der Küste in die Berge, um ihre Kultur, Religion und Sprache zu schützen. Doch schließlich sahen sie sich gezwungen, zum Islam zu konvertieren. Viele Menschen denken, die nordafrikanischen Länder wie Marokko, Tunesien oder Lybien wären arabische Länder. Tatsächlich sind aber die Imazighen das ursprüngliche Volk Nordafrikas.

 

Woher kommt der Name der Imazighen?

Der Name „Imazighen“ bedeutet auf Deutsch so viel wie „freie Menschen“ oder „edle Menschen“. Das Gebiet Nordafrikas wurde früher „Tamazgha“ genannt, das „Land der freien Menschen“. Die Römer gaben den Imazighen damals den Namen der „Berber“, was so viel bedeutet wie „Barbar“: Alle Völker, die nicht ihre Sprache sprachen, wurden demnach Barbaren genannt.

 

Wie sah die Beziehung früher zwischen dem arabischen Volk und den Imazighen aus?

Marokko (c) WORLD INSIGHT 05

Heute leben Araber und Imazighen friedlich zusammen.

Am Anfang war sie durch Gewalt geprägt, da die Araber das Land der Imazighen eroberten und die Menschen zwangen, zum Islam zu konvertieren. Deshalb zogen sich die Imazighen auch in die Berge und die Wüstengebiete zurück. Wie ist die Beziehung heute? Nach dem Ende der französischen Kolonialzeit wurden Imazighen von der Politik unter König Hassan II. gegenüber den Arabern benachteiligt behandelt. Die Gebiete der Imazighen wurden marginalisiert, es gab keine Elektrizität. Es kam sogar zum Verbot einiger Worte aus der Imazighen-Sprache wie die Namen alter Könige oder das Wort für „Mädchen“. Heute hat sich das geändert, da viele Organisationen für die Rechte der Imazighen gekämpft haben. Der heutige König, Mohammed VI., ist tolerant und offen gegenüber den Imazighen. Er will größere Stabilität, denn 80 % der Marokkaner sind Imazighen.

 

Hast du das Gefühl, dass Imazighen immer noch diskriminiert werden?

Das war einmal. Heute bist du als Imazighen viel stolzer auf deine Herkunft als ein Araber. Die Imazighen-Sprache wird oft auf der Straße oder im Restaurant gesprochen. Wenn ich sage, dass ich Imazighen bin, entgegnen selbst die Menschen, die sich als Araber bezeichnen, oft: „Oh ja, meine Eltern waren auch Imazighen“. Es herrscht heute nahezu Gleichberechtigung.

 

Wenn du an deine Grundschulzeit vor 20 Jahren denkst, war es da anders?

Marokko (c) WORLD INSIGHT 02

Ein Hirte treibt seine Schafherde in den Bergen des Hohen Atlas zusammen.

Ich habe die Grundschule in einem kleinen Dorf besucht, jeder war Imazighen und da gab es keine Probleme. Als ich die Grundschule beendet hatte, entschied mein Vater, dass wir in die Stadt ziehen nach Beni-Mellal. Dort sollten meine Geschwister und ich weiter zur Schule gehen. Das war etwa 1996 und manchmal, wenn meine Schwester und ich zur Schule gegangen sind, haben die Menschen uns schon komisch angeschaut und gesagt, wir wären ja nur Imazighen, die kommen aus den Bergen und halten Schafherden. Für sie waren wir nur zweite Klasse. Zum Glück ist das heute anders.

 

Gibt es fundamentalistische Einflüsse bei den Imazighen?

Das Volk der Imazighen ist traditionell weltoffen und auch sehr westlich ausgerichtet. Staat ging hier immer vor Religion. Leider kommen immer wieder Imame aus Saudi-Arabien in die Dörfer und versuchen unsere Leute zu beeinflussen. Auch empfangen die Fernseher in den Bergen des Atlas oft nur arabisches Fernsehen, da laufen dann entweder „Trash“ oder religiöse Sendungen. Das hat teilweise negativen Einfluss.

 

Was muss dagegen getan werden?

Marokko (c) WORLD INSIGHT 01

Zugang zu Bildung für die Kinder in den abgelegenen Imazighen-Dörfern ist nicht immer einfach.

Die Kinder müssen Zugang zu Bildung bekommen. Wir haben zum Beispiel eine lokale NGO in R’bat gegründet. Da bauen wir aktuell ein Kulturzentrum für Musik, Theater und Malerei. Auch der kulturelle Austausch mit Reisenden bringt viel. Wenn zum Beispiel eine Gruppe von WORLD INSIGHT kommt, dann ist das für alle ein tolles Erlebnis. Spätestens beim gemeinsamen Fußballspiel auf dem Bolzplatz sind alle kulturellen Unterschiede vergessen und man freut sich einfach über das Miteinander.

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