Im Mai begab sich WORLD INSIGHT Reisegast Manfred Schnitzer auf eine spannende Reise nach Aserbaidschan. Seine Impressionen hat er für uns in einem Reisebericht festgehalten.
Ein paar grundlegende Bemerkungen:
Wenn man an den Kaukasus denkt, dann fallen einem zunächst die Länder Georgien und Armenien ein, die in historischer und kultureller Hinsicht schon seit jeher eine starke Affinität zu Europa aufweisen. Beide Staaten gelten als Wiegen des Christentums mit überwältigender Landschaft und einzigartigen Bauwerken. Aserbaidschan kann als die anderen beiden Länder in vielerlei Hinsicht ergänzender Teil einer Art kaukasischer Triade verstanden werden.
Wir hatten vor diesem Hintergrund schon frühzeitig die Entscheidung getroffen, die drei genannten Länder im Rahmen abgegrenzter, aber in jeder Hinsicht doch recht ausführlicher Reisen kennenzulernen: Auf Georgien (im
April 2023) und Armenien (September/Oktober 2023) ging es diesmal eben nach Aserbaidschan und wir können nur allen an der Kaukasus-Region Interessierten dazu raten, es uns gleichzutun: Man wird nicht nur fünf Tage lang, sondern zwei intensive Wochen an Erfahrungen und Eindrücken belohnt und nach der Rückkehr ein unvergessliches und gleichzeitig äußerst differenziertes Bild der gesamten Region erhalten haben.
Wir haben also ganz bewusst genau diese Reise gebucht, um ein wenig mehr von der speziellen Kultur und dem Leben der Menschen kennenzulernen. In diesem Sinn waren die Reiseroute, die Schwerpunktsetzung, die Organisation, besonders jedoch die angenehme, engagierte und äußerst kompetente Betreuung durch unseren Reiseführer Gurban Alaskarov nahezu perfekt. Seine fürsorgliche Art, sehr oft für ein Mittagessen in Form eines schmackhaften Picknicks zu sorgen, wird uns in Erinnerung bleiben. Gurban ist übrigens ausgezeichneter Musiker, weshalb uns nachfolgenden Reisenden zu empfehlen ist, nach herumliegenden Saiteninstrumenten Ausschau zu halten und sie ihm in die Hand zu drücken. Es lohnt sich…!
Für das Gelingen einer Reise sehr wichtig sind vor allem auch die Mitreisenden: Diesbezüglich hat alles bestens funktioniert und jede(r) Einzelne hat dazu beigetragen, eine für alle TeilnehmerInnen angenehme Atmosphäre zu schaffen…!
Was ist das Besondere an dieser Reise nach Aserbaidschan…?
Meiner Meinung nach sind die besuchten Orte, Regionen und Sehenswürdigkeiten in einem sehr ausgewogenen Verhältnis zueinander ausgewählt worden, sodass man nicht nur einen hervorragenden Eindruck von den allgemeinen Charakteristika dieses Landes gewinnt, sondern auch einige lokale Besonderheiten zu schätzen lernt. Der Umfang des Gesehenen und Erlebten ist jedenfalls so groß, dass man in einem kurzen Bericht gar nicht auf alle Attraktionen und Höhepunkte dieser Reise eingehen kann. Aus diesem Grund möchten wir vor allem auf jene besonderen Erinnerungen verweisen, die uns sehr überrascht haben und auf die wir zukünftige Reisende gerne aufmerksam machen möchten.
Der erste Teil der Reise: Von Baku nach Sheki…
Es war von Vorteil, die Stadt Baku in zwei Etappen kennenzulernen: Einmal in ihren Grundzügen und wesentlichsten Sehenswürdigkeiten in teilweise auf Grund des gerade überstandenen Nachtflugs nicht ganz ausgeschlafenem Zustand. Ein andermal im Rahmen selbst zu gestaltender Freizeit im Sinne einer Vertiefung besonderer Interessen kurz vor der Heimreise. Die Stadt ist so vielfältig in ihren frühzeitlichen und mittelalterlichen Elementen, dem bedeutsamen Bezirk mit Bauten aus der Gründerzeit zu Ende des 19. Jahrhunderts sowie der zum Teil futuristischen Architektur der Gegenwart…
Ganz wichtig war zunächst der Blick von oben, vom beeindruckenden Highland Park, um die Stadt in ihrer Totalität, aber auch recht deutlichen Gliederung wahrzunehmen: Die von einer Mauer umgebene, mittelalterliche Altstadt und unmittelbar daneben die sehr großzügig angelegten Geschäfts- und Wohnviertel mit zum Teil sehr breit angelegten Boulevards, auf denen einmal jährlich sogar ein Formel 1 – Grand Prix genug Platz findet.
Der Orientierung dient zunächst ein Spaziergang über das Kopfsteinpflaster der engen Gassen, vorbei an ehemaligen Karawansereien, kleinen Moscheen, aber auch an den zu Recht bekanntesten Sehenswürdigkeiten der Stadt, nämlich den Palast des Schahs von Schirvan und dem geheimnisvollen Mädchenturm. Der moderne Kontrapunkt dieser Eindrücke ist ein Besuch des nicht nur architektonisch überaus interessanten Kulturzentrums Heydar Aliyev, errichtet von Zaha Hadid.
Ganz im Bewusstsein, noch einmal in diese Stadt zurückzukehren und die Besichtigung später fortzusetzen, führt uns schon der nächste Tag ins Gebirge, in das uralte, kleine, aber äußerst malerische Handwerkerstädtchen Lahij. Spätestens an diesem Ort lernt man eine Besonderheit Aserbaidschans kennen: Diese Nation hat viele verschiedene ethnische, sprachliche und kulturelle Wurzeln. Ein Teil der Bevölkerung dieser Gegend, sind Taten, die vor Jahrhunderten von Persien kommend sich hier angesiedelt haben. Lahij wirkt mit seinen gepflasterten Gassen, Höfen und alten Häusern wie eine Stadt aus dem Bilderbuch und die Zeit wirkt wie stehengeblieben.
Der nächste Höhepunkt der Reise folgt schon am nächsten Tag und vermittelt ein wenig Geschichtsunterricht: Man ist plötzlich mit einem etwas anderen Albanien konfrontiert, als man es vom Balkan gewohnt ist. Es gibt nämlich ein längst untergegangenes, antikes Königreich gleichen Namens, dessen Hauptstadt, einst sowohl Handelszentrum als auch Bischofssitz, sich unweit des heutigen Qabala befunden hat. Heute staunt man über die noch erhaltenen, gigantischen Stadttore und Mauern, die sich über mehrere, zum Teil archäologisch noch gar nicht untersuchten Stadtteile erstreckt.
Unser nächstes Ziel ist Sheki, erneut eine Stadt, die viel älter ist, als jene in Europa und voll mit großartigen Sehenswürdigkeiten: Der Palast des ehemaligen Khans, von außen eher unscheinbar, zeigt eine prächtige Innenausstattung mit dekorativ-bunten Fresken und wunderbaren Glasfenstern. Eindrucksvoll sind die Größe und die mächtige Bauart der wunderschön restaurierten Karawansereien sowie die Vielfalt der am Markt angebotenen Sortiments an Obst und Gemüse.
Spätestens beim Besuch des oberhalb von Sheki gelegenen Bergdorfs Kish wird uns erneut das christliche Erbe der Gegend bewusst: Die kleine Dorfkirche St. Elisæus geht auf eine Gründung im 1.Jhdt. zurück und präsentiert in einem kleinen Museum sehr interessante historische Artefakte und sakrale Gegenstände. Wenig später genießen wir einen kurzen Spaziergang zur Georgskirche von Kurmuk unweit der georgischen Grenze, von der man eine großartige Fernsicht hat.
Der zweite Teil der Reise: Von Sheki in den Süden nach Lankaran…
Wir begeben uns nun an den Südrand jener großen Ebene, die zwischen den Ausläufern des Großen und des Kleinen Kaukasus gelegen ist. Wir erreichen Ganja und genießen zur Abwechslung wieder das Flair einer Großstadt. Besonders beeindruckt uns die über einem Mausoleum erbaute, architektonisch sehr reizvolle und stimmungsvolle Imamzadeh-Moschee.
Reisen lebt von Überraschungen und vor allem auch solchen, auf die man vorbereitet scheint. Der Besuch in Göygöl, dem früheren Helenendorf, konfrontiert uns mit der Geschichte ehemaliger deutscher Siedler und den vielen Spuren, die aus dieser Zeit noch vorhanden sind. Die Anlage der Straßen, vor allem jedoch so manche Gebäude mit ihren zum Teil noch erhaltenen, originalen Inneneinrichtungen, vermitteln ein Bild wie vor hundert Jahren: Migranten aus Schwaben, die es in Aserbaidschan zu einem gewissen Wohlstand gebracht haben, unter Stalin jedoch vertrieben wurden.
Eine lange Fahrt bringt uns nun in eine völlig andere Gegend nahe der iranischen Grenze. Lankaran ist eine hübsche, kleine Stadt am Kaspischen Meer, im Zentrum eines landwirtschaftlich sehr fruchtbaren Gebiets. Auch hier treffen wir auf eine sprachliche und ethnische Minderheit, die sogenannten Talyschen, die im 18. Jahrhundert vorübergehend sogar einen unabhängigen Staat gegründet hatten. Eine besondere Attraktion dieser Gegend sind die „brennenden“ Quellen und Brunnen, wo sich das Wasser auf Grund seines Gehalts an Methan leicht entzünden lässt.
Der Höhepunkt dieses Teils unserer Reise ist jedoch der Hirkan – Nationalpark nahe der iranischen Grenze, der uns einen Eindruck davon vermittelt, wie unser Mittelgebirge als Folge des Klimawandels in ein paar Jahrzehnten bestmöglich aussehen könnte: Ein lichter, artenreicher Laubwald mit hoher Biodiversität, bestehend aus Eichen, Hainbuchen und anderen trockenheitsresistenten und dem jeweiligen Standort angepassten Baumarten.
Der dritte Teil der Reise: Zurück in den Norden, hinauf in die Berge und ein letzter Blick auf Baku…
Die nächste Etappe führt uns zu dem in Ufernähe des Kaspischen Meers gelegenen Shirvan – Nationalpark und wieder müssen wir angesichts der dort vorkommenden Fauna an unsere Gegenwart und Zukunft denken: Es ist nämlich kaum möglich, ein Tier zu fotografieren, ohne gleichzeitig einen Bohrturm oder eine andere Installation des Erdölzeitalters aufs Bild zu bekommen. Der allgegenwärtige, weltweite Energiehunger und der attraktive Rohstoffreichtum von Aserbaidschan lassen gegenwärtig noch nicht erkennen, wie es mit unserer Wachstumsökonomie in Zukunft weitergehen wird.
Da ist das nächste Reiseziel eine willkommene Abwechslung: Die Stadt Quba ist nämlich Ausgangspunkt gleich mehrerer Attraktionen. Zunächst geht es durch atemberaubende Landschaften auf engen Straßen hinauf ins Hochgebirge. Das Dorf Khinalug liegt auf einer Seehöhe von rund 2200 m, stammt aus prähistorischer Zeit und war ursprünglich – wie könnte es anders sein – zum größten Teil von einer sprachlichen und ethnischen Minderheit bewohnt. Das kleine, von der lokalen Bevölkerung eingerichtete Museum gibt einen guten Einblick in die Besonderheiten dieses Orts. Ein weiterer Besuch führt uns ins Dorf Kriz, wo wir erfahren, auf welche Weise man in dieser extremen Lage wirtschaftlich überleben kann.
Zurück in Quba wartet auf uns die nächste Überraschung: Der Stadtteil Qırmızı Qəsəbə ist eine Siedlung der sogenannten Bergjuden, die dem Ruf, eines der letzten Shtetl zu bilden, gerecht werden. Der Ort wirkt zwar verlassen, doch wird auch neu gebaut und es herrscht offensichtlich auch kein Mangel an Finanzierungen, sei es von Seiten mancher russischer Oligarchen oder anderer Geldgeber. Der beeindruckende Friedhof zeigt die Verbundenheit des abgewanderten Teils der Bevölkerung und das moderne Museum ist aus touristischer Perspektive ein absolutes Must-see.
Die letzte Etappe unserer Reise konfrontiert uns mit einer Reihe starker Argumente, warum man Aserbaidschan unbedingt kennenlernen sollte: Die Schlammvulkane und vor allem die steinzeitlichen Felszeichnungen von Gobustan, das übrigens über ein ganz ausgezeichnetes Museum verfügt, sind einzigartige Attraktionen. Dasselbe gilt für die Sehenswürdigkeiten auf der Halbinsel Absheron, nämlich die seit dem Altertum brennende Erde Yanar Dag und vor allem der nachgebaute Feuertempel Ateschgah samt seinem sehr anschaulichen Museum.
Der letzte Reisetag in Baku wird einem zu kurz, um alle noch bestehenden Besichtigungspläne und Interessen zu berücksichtigen. Ein spezieller Tipp ist die vorzügliche Küche: Fischliebhabern wird dringend empfohlen, Stör zu kosten, am besten in pikanter Granatapfelsauce…!