Kaffee trinken wir fast alle, doch während sich hierzulande Baristas um die perfekte Zubereitung bemühen, wird der Kaffee in Äthiopien zuhause zelebriert und als Anlass für eine gemeinsame Auszeit im Alltag genutzt.
Gerne treffen wir uns hin und wieder in einem der zahlreichen hippen Cafés, um uns von geübten Baristas den perfekten Cappuccino brühen zu lassen, dessen Milchschaum mit kunstvoller Latte Art verziert ist. Der Trend geht dabei eindeutig in Richtung Nutzung fair gehandelten Kaffees, denn es geht uns schon längst nicht mehr nur um den günstigen und vor allem schnellen Wachmacher für zwischendurch – Kaffee ist ein Genuss, und so informieren die Cafés immer mehr über Herkunft, Qualität und Handel ihrer verwendeten Bohnen. Die Legende über das allseits geliebte Heißgetränk kennen aber dennoch vermutlich die wenigsten: Sie führt zurück zum Ziegenhirten Kaldi aus Äthiopien, dessen Ziegen nach dem genüsslichen Verzehr kleiner, bisher unbekannter roter Beeren verrücktspielten – neugierig probierte also auch er die ihm unbekannte Frucht. Fasziniert von der stimulierenden Wirkung und der schnellen Energiezufuhr wurde die Beere bzw. Bohne schon bald fester Bestandteil im alltäglichen Gebrauch der äthiopischen Hirten und Mönche. Selbst der Name der Bohne führt zurück in das 8000 km entfernte Land: Sie ist nach der im Südwesten Äthiopiens liegenden Provinz Kaffa benannt, die eine unzählige Vielfalt an Kaffeesorten bietet.
„Kaffee ist unser Brot“
Dass Äthiopien als Ursprung des Kaffees gilt, erklärt auch die äußerst aufwendige Tradition des Landes, die in den ländlichen Regionen auch bis heute noch täglich gelebt wird: Die Zubereitung des Heißgetränks wird über mehrere Stunden regelrecht zelebriert, wobei nicht nur Familie, sondern auch Freunde und Nachbarn drei Mal täglich eingeladen werden, um bei einer Zeremonie die Zubereitung und vor allem das Beisammensein zu feiern. Um diesen Brauch auch in den belebten äthiopischen Großstädten zu bewahren, wird sich die Zeit dort hauptsächlich an den Wochenenden, bei Besuch oder an besonderen Festen wie dem Meskel- oder dem Timkat-Fest genommen.
Wie man sich eine solche Kaffeezeremonie vorstellen kann und welche Bedeutung sie hat, hat uns Country Manager Tewodros Mulugeta Zewdie erzählt. „Tedy“ ist in Addis Abeba, der Hauptstadt Äthiopiens, aufgewachsen und lebt auch heute noch in der Metropole. Als Kind verbrachte er viel Zeit damit, die Kaffeebauern bei ihrer Arbeit zu beobachten und lernte viel über den örtlichen Anbau. Auch für ihn ist die zeitaufwändige Tradition unverzichtbar – sie ist Teil des äthiopischen Alltags und mit dem landessprachlichen Ausspruch „Buna dabo naw“, zu Deutsch „Kaffee ist unser Brot“, wird die Bedeutung der Zeremonie für das Land und die Menschen besonders deutlich. Bereits während der Vorbereitungen wird sich über das Leben, die persönlichen Probleme oder auch über politische Themen ausgetauscht. „Es ist eine gute Gelegenheit, um sich mit unseren Mitmenschen auszutauschen. Im Alltag gehen Probleme und Sorgen schnell unter und die Zeremonie gibt uns die Zeit, uns auf die Familie zu konzentrieren“, so Tedy.
Bevor die eigentliche Kaffeezeremonie jedoch beginnt, wird gemeinsam ein riesiges Festmahl zubereitet. Die Frauen der Familie kochen und bereiten die Köstlichkeiten zu, während die Männer in die Kirche gehen. Doch wer denkt, dass die Vorbereitungen reine Frauensache sind, hat sich geirrt, denn „die Hauptaufgabe der Männer ist das Shopping. Sie gehen auf die Märkte und besorgen das Fleisch.“
Fehlen darf bei einem solchen Festmahl niemals das Injera – ein flaches, gesäuertes Brot aus Teffmehl, das nicht nur durch seinen einzigartigen Geschmack überzeugt, sondern gleichzeitig als Löffel fungiert. Er ist die Beilage zu den zahlreichen Soßen und Gemüsegerichten, die die Frauen zuvor zubereiten. Bis zu zehn verschiedene Soßen füllen den Tisch und die sind nichts für schwache Nerven: Die äthiopische Küche kennt eine Vielzahl an Gewürzen und besonders an Pfeffer wird nicht gespart. Dennoch sind alle Zutaten gekonnt ausgewählt und versprechen ein Abenteuer für die Geschmacksnerven. Sind die Bäuche gefüllt, geht es weiter mit der eigentlichen Kaffeezeremonie, die sich auf der Terrasse oder in einem dafür eingerichteten Zimmer abspielt.
Der Weg in die Tasse
Auf frisch ausgelegten, langen und duftenden Grashalmen befindet sich die Feuerstelle. Ein kleines, offenes Feuer, über dem sowohl der Kaffee als auch die traditionellen Beilagen zubereitet werden. Geführt wird die Zeremonie von einer jungen äthiopischen Frau, die in prachtvoller Kleidung die Bohnen auf ihre Qualität prüft und anschließend vorsichtig in einer flachen Metallpfanne wäscht. Nachdem das Wasser abgegossen ist, beginnt der eigentliche Röstungsprozess über dem heißen Feuer. Durch kräftiges Rütteln der Pfanne löst sich die Schale und die Röstaromen beginnen sich zu entfalten. Sind die Bohnen glänzend schwarz, werden sie in einen Mörser gegeben und mit schwungvollen und rhythmischen Bewegungen zermahlen. Nebenher wird in der Jebena, eine aus Ton geformte Kanne, das Wasser erhitzt, in das anschließend das gemahlene Pulver eingerührt wird. Hat der Kaffee einige Minuten über dem Feuer geköchelt, wird er so lange durch ein feines Sieb gegossen, bis das jüngste Mitglied der Runde entschieden hat, nach dem wievielten Vorgang des Siebens der Kaffee serviert werden soll. Respektvoll überreicht es die erste Tasse an den ältesten Teilnehmer.
Nun hat sich auch das Warten der zahlreichen anderen Familienmitglieder, Bekannten und Nachbarn gelohnt und es zeigt sich, dass eine erfolgreiche Kaffeezeremonie jahrelange Übung erfordert: Gekonnt werden alle Tassen, ohne den Gießfluss zu unterbrechen, befüllt, während die Zeremonie-Meisterin die Kanne über 30 cm auf- und abhebt.
Getrunken wird der recht starke Kaffee mit reichlich Zucker und auf dem Land – für uns wahrscheinlich etwas gewöhnungsbedürftig – sogar mit Salz. Doch auch die Beilagen unterscheiden sich im Land des Kaffees: Während wir gerne dazu ein Stück Kuchen essen, wird in Äthiopien traditionell Popcorn oder auch eine Getreidemischung, bestehend aus Kichererbsen, Weizen und Rote-Distel-Samen, gereicht, die als besondere Ehrerweisung gegenüber den Anwesenden gilt.
Die Tradition leben
Eine Ehrerweisung und ein Zeichen der Gastfreundschaft ist es auch, Gäste mit in die Tradition einzubinden, und so gehört natürlich auch bei unseren Touren das Erlebnis einer gemeinsamen Zeremonie dazu. „Unsere Gäste können selbst Rösten, Mahlen oder das Pulver in das heiße Wasser schütten – auf jeden Fall wollen sie ihn alle unbedingt probieren, unseren äthiopischen Kaffee“, erzählt Tedy euphorisch. Aus Respekt sollte man eine Einladung bei einer äthiopischen Familie nicht verwehren und mindestens drei Tassen des frischgebrühten Getränks sollte man probieren, denn die dritte Tasse gilt als Segen und soll den Geist im Laufe der drei Runden bereinigen – lassen Sie sich auf das besondere Erlebnis ein und spüren Sie die äthiopische Herzlichkeit sowie den starken Zusammenhalt unter den Anwesenden.