Länderreportage Georgien 26. Juni 2017

Land der zwei Gesichter

Georgien erfreut sich großer Beliebtheit bei Erlebnisreisenden. Doch was bewegt den Kaukasus-Staat? Ein Blick hinter die Kulissen offenbart ein Land der Gegensätze mit zwei Konstanten: Wein und Gastfreundschaft.

Jäger und Gejagte waren einfach nicht mehr aufzufinden. König Wachtang I. und seine Gefolgsmänner hatten für die Jagd nach einem Fasan ihren Falken losgeschickt. Doch beide hatten sie nun in der grünen Ebene zwischen drei Felsen und einem Flusslauf aus den Augen verloren. Nach angestrengter Suche stießen sie schließlich auf eine heiße Quelle und fanden darin Falken und Fasan – in gekochtem Zustand.

WORLD INSIGHT-Reiseleiter David erzählt gerne von zahlreichen Mythen und Legenden, die sich um seine Heimat ranken.

WORLD INSIGHT-Reiseleiter David zeigt auf das Reiterstandbild von König Wachtang I., das in Tiflis über dem Steilufer des Flusses Mtkwari thront. „Der georgischen Legende zufolge beschloss Wachtang I. im Gebiet der heißen Quellen eine Stadt zu bauen“, und fügt hinzu: „In Wirklichkeit ist die Gründung der Stadt Tiflis wohl auf die strategische Lage der Ebene zurückzuführen, die von drei Seiten durch Felsen und von der vierten Seite durch den Mtkwari Schutz vor Feinden versprach.“

Georgien ist ein Land der zwei Gesichter: So wie sich bei der Gründung der Hauptstadt Tiflis Legende und Wirklichkeit gegenüber stehen, so ist der Kaukasus-Staat auch politisch und gesellschaftlich gespalten – zwischen Europa und Russland, zwischen weltoffenem Stadt- und traditionstreuem Landleben.

Das Erbe der Rosenrevolution

Unser Team in Georgien: Tinatin (re.) zusammen mit Lela und Khatuna (v.l.)

Tinatin Rekhviashvili, eine der Partnerinnen vor Ort von WORLD INSIGHT, weiß die seit der Rosenrevolution im Jahr 2003 gewonnene Freiheit zu schätzen. Nach der Unabhängigkeit in Folge des Zusammenbruchs der Sowjetunion 1991 erlebte das Land zunächst Jahre der Korruption unter dem Präsidenten Eduard Schewardnadse, bevor das Volk 2003 schließlich auf die Straße ging und einen Politikwechsel erzwang.

„Vor dem Hintergrund, dass wir unsere Selbstständigkeit verloren hatten, spielt heute das Gefühl von der Freiheit eine wichtige Rolle bei uns“, erzählt Tinatin. Die Rosenrevolution brachte ein Ende der Korruption und eine Annäherung an Europa. Die Georgier sind seitdem sensibel für politische Themen, egal ob in großen Städten wie Tiflis und Batumi oder in den ländlichen Regionen wie Swanetien und Kachetien.

Georgiens Hauptstadt Tiflis ist eine moderne Millionenmetropole.

Im Herbst stehen in Georgien Wahlen zum Bürgermeister an: Hauptgegner sind die Regierungspartei „Georgischer Traum“ und die oppositionelle „Vereinigte Nationale Bewegung“. Sie spalten das Land in proeuropäische und prorussische Lager auf.

Nicht nur die junge Elite in den modernen Metropolen Tiflis und Batumi diskutiert über Politik, auch in den ländlichen Regionen ist das ein großes Thema: „Auf dem Land steht vor jeder Haustür eine Bank. Es ist Tradition, dass sich jeden Abend die ganze Nachbarschaft vor einer der Bänke trifft und sich über das politische Geschehen austauscht. Inzwischen haben viele auch Internet“, berichtet Tinatin und ergänzt lachend: „Alle scheinen sich gut mit der Politik auszukennen, natürlich immer besser als die Politiker!“

Gastfreundschaft zwischen Stadt und Land

Während sich Georgien in den Metropolen Tiflis und Batumi mit multikulturellem, weltoffenen Flair sowie einem Spagat zwischen hübscher Altstadt, aufgeräumten Plätzen und futuristischen Gebäuden zeigt, haben sich die Einheimischen in den ländlichen Regionen ihren ursprünglichen Lebensstil bewahrt.

Die ländlichen Regionen wie Swanetien sind wunderschön und nur dünn besiedelt.

„Die Familien sind viel größer als in der Stadt. Fünf bis sechs Kinder zu haben, ist normal. Alle Generationen leben immer noch zusammen in einem großen Haus. Von den Urgroßeltern bis zum Enkelkind. Die meisten Menschen auf dem Land haben keine richtige Arbeit, viele arbeiten auf dem Feld. Den Abend verbringt man mit den Nachbarn, die Menschen sind da sehr sozial“, so Tinatin.

Bekannt ist Georgien für seine große Gastfreundschaft, die sich besonders in den dünn besiedelten Regionen wie Swanetien zeigt. „Wir Georgier sagen, dass die Gastfreundschaft so alt ist wie das Land selbst“, erzählt Tinatin und verweist auf eine etwa 3.000 Jahre alte Tradition: „Wenn die Männer in den Bergregionen jagen gingen, es aber zu spät wurde, um wieder nach Hause zurückzukommen, konnten sie beim Feind anklopfen. Dieser musste die Männer empfangen. Es war ihm verboten, sie wegzuschicken.“

Als später eine Abzweigung der Seidenstraße durch Georgien verlief, empfingen die Georgier die zahlreichen ausländischen Händler mit ebendieser kulturell verankerten Gastfreundschaft. Etwas, das sich auch bis heute nicht geändert hat – trotz der in den letzten Jahrzehnten turbulenten Entwicklung des Landes.

Unersetzlicher Wein und eine umstrittene Brücke

Ein georgischer Winzer zeigt stolz seine Ernte.

Die große Konstante neben der Gastfreundschaft ist seit jeher der Wein. Auch die Prohibition in den 1980er Jahren konnte daran kaum etwas ändern. Ca. 8.000 Jahre reicht die Tradition des Weinbaus in Georgien zurück. Das Land gilt als Wiege des Weins – dank bester klimatischer und geologischer Bedingungen. Der edle Tropfen ist heute zweitwichtigster Exportartikel, etwa 50 Mio. Flaschen georgischen Weins gehen jährlich an den russischen Absatzmarkt.

Eine besondere Rolle spielt der Wein bei der Supra, einem traditionellen Tischritual. Dabei versammeln sich Jung und Alt an einer großen Tafel. Zu Beginn wird ein Tischmeister gewählt: Die Aufgabe des sogenannten „Tamada“ ist es, für Auswahl und Ausschank des Weines zu sorgen. Damit ist er die wichtigste Person, die sich um die Zufriedenheit der Gäste kümmert.

Die Friedensbrücke in Tiflis verbindet zwar die Flussufer, steht aber sinnblidlich für die Gegensätze in Georgien.

Zurück in Tiflis: WORLD INSIGHT-Reiseleiter David wendet sich vom Reiterstandbild des Königs Wachtang I. in Richtung Europa-Platz. Die Blicke bleiben an der futuristischen Friedensbrücke hängen, die die Altstadt mit der Neustadt verbindet. Die kurvige Stahl- und Glaskonstruktion ist seit ihrem Bau im Jahr 2010 umstritten.

Sie spaltet mehr, als dass sie verbindet: Während die Befürworter in der modernen, avantgardistischen Architektur ein Symbol des Wandels sehen, äußerten Gegner Kritik an der Strahlkraft der Brücke, die die Altstadt und ihre historischen Baudenkmäler in den Hintergrund rücke. Eins fehlt der Brücke im Land der zwei Gesichter immerhin nicht: Authentizität.

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