Wer stürzt sich schon freiwillig in den chaotischen Verkehr von Irans Hauptstadt? Weltentdecker Andreas Pröve hat es mit seinem Handbike gewagt: von Hupkonzerten, einer Autobahn-Odyssee und einem Burgerrestaurant.
Für Weltentdecker Andreas Pröve ist das Reisen mehr als eine Leidenschaft. Seit jeher will er die Kultur, den Alltag der Menschen in fremden Ländern kennenlernen, einen Blick hinter die Kulissen werfen. Aufhalten ließ er sich dabei auch nicht von einem schweren Unfall im Alter von 23 Jahren. Schon seit 30 Jahren ist er nun mit seinem zu einem Hand-Bike umfunktionierten Rollstuhl unterwegs auf den Straßen und Schotterpisten dieser Welt. Für uns hat Andreas Pröve einen Tag auf Reisen in Irans Hauptstadt Teheran Revue passieren lassen.
In acht Stunden durch Teheran
“Der Atem unter meiner Maske kondensiert zu Wassertropfen, die mir am Hals herunterlaufen und sich dort mit dem Ruß aus der Luft vereinen. Bereits nach fünf Kilometern bin ich vollkommen verdreckt. Dazu habe ich drei Außenspiegel mit meiner Handkurbel verbogen und diverse Lackschäden mit dem Rolli verursacht. Was in Deutschland einem Anschlag gleich käme, quittieren die Autofahrer in den Straßenschluchten von Teheran mit einem gleichgültigen Lächeln. Aber der Schein trügt: Wenn sich ein Bewohner Teherans in sein Auto setzt, dann lässt er die berühmte Gastfreundschaft und Rücksichtnahme, die das Volk so liebenswert macht, zurück und mutiert zu einem Rallyefahrer, der nur eines im Kopf hat: schnellstmöglich und unter Umgehung sämtlicher Regeln des Anstands von A nach B zu kommen. Dagegen führt der Verkehr in Delhi, Bangkok oder Mexiko City ein Schattendasein. Teheran toppt alles, ist riesig und hat mich anfangs schlicht überfordert. Von den Elendsquartieren im Süden zur modernen Oberstadt zieht sich das pulsierende Herz Irans über 70 Kilometer in die Länge. Hier leben zehn Millionen Menschen – oder sind es 15 Millionen? Keiner weiß es.
Unsichtbare Ordnung im chaotischen Verkehr
Wer in Teheran lebensmüde ist, überquert bei grüner Ampel eine Straße ohne nach links und rechts zu schauen. Fußgänger wagen sich nur im Pulk auf den Zebrastreifen. Hier, wo die Gesetze des Dschungels herrschen, muss sich durchbeißen, wer weiterkommen will, oder er geht unter. Also werfe ich alle gelernten Verkehrsregeln über Bord und übernehme den Teheraner Fahrstil. Diese Stadt ist voller Ampeln. Doch ihr Dasein löst Mitleid aus, denn niemand beachtet sie. Es sei denn, die Polizei ist präsent. Auch ich finde es wichtiger herauszufinden, was wohl in den Köpfen der benachbarten Verkehrsteilnehmer vorgeht, ob sie mich mit meiner Größe von 1,40 m bemerkt haben und welche Fahrtrichtung sie im nächsten Moment einschlagen werden. Gleichzeitig muss ich mich orientieren und die Hinweisschilder in Farsi entziffern.
Etwas unkonzentriert begehe ich den Fehler und stoppe an einer Ampelkreuzung bei Rot. Plötzlich ertönt hinter mir ein ohrenbetäubendes Hupkonzert. „Ruhig bleiben“, rede ich mir ein, wechsle in den ersten Gang und versuche mich über die Kreuzung zu kurbeln. Mein Ziel ist der „Holy Shrine“, das Mausoleum des Ayatollah Khomeini, 30 km südlich von hier.
Eingekesselt von Fahrzeugen, die so eng stehen, dass selbst mit meinem Rolli von 58 cm Breite kein Durchkommen ist, stehe ich seit zehn Minuten im Stau. Die Lkws rauben mir mit ihren Rußschwaden den Atem. Bei einem lächerlichen Dieselpreis ist Spritsparen nicht populär. Rechts steht ein Stadtbus, in dem Männer, von schwarz gekleideten Frauen durch ein Gitter getrennt, mitleidig auf mich herabsehen. In Iran herrscht strenge Geschlechtertrennung. Die Pasdaran, die gefürchtete Revolutionsgarde ist überall zugegen. Ohne Mantel kann sich auch bei größter Hitze keine Frau auf die Straße wagen.
Mit dem Rollstuhl auf der Autobahn
Ich versuche aus der Stadt herauszukommen und lande fast unbemerkt auf der Autobahn. Ampeln werden seltener, die Autos schneller und vorbeidonnernde Lkw zu einer echten Gefahr. Endlich ein Schild, das ich lesen kann: “Holy Shrine, South Expressway“. Am nächsten Autobahnkreuz muss ich rechts raus. Schon kann ich die vier Minarette mit der goldenen Kuppel dazwischen sehen, unter der der Sarg des Ayatollah Khomeini steht. Noch zehn Kilometer.
Eine Polizeikontrolle – jetzt bin ich reif, denke ich. Zwei böse aussehende Polizisten in makelloser Uniform und mit großen Mützen bauen sich vor mir auf und beginnen auf mich einzureden, zeigen auf mein Gefährt und machen eine abweisende Handbewegung. „Rollstühle haben auf der Autobahn nichts zu suchen!“ Aber ich will doch zum Schrein des großen Ayatollah Khomeini, Gott hab ihn selig. Das wirkt. Ihre Gesichter erhellen sich und freundlich lächelnd treten sie beiseite.
Zum Schrein des Imam
Langsam erhebt sich vor mir eine riesige goldene Kuppel mit einem großen Platz davor, der erahnen lässt, welche Atmosphäre hier herrscht, wenn zum Todestag hunderttausend Pilger dem Begründer der islamischen Revolution die Ehre erweisen. Ob es ihm gefallen hätte, wenn er gewusst hätte, dass die Schnellimbissbuden an seinem Grab iranische Hamburger verkaufen?
Wider Erwarten muss ich nicht meine Schuhe ausziehen, wie es alle Besucher tun. In der riesigen Halle unter der von Säulen getragenen Kuppel gibt es für mich eine Überraschung: wo ich auch hinsehe, überall Rampen für Rollifahrer. Das hätte ich mir an den Bordsteinkanten von Teheran auch gewünscht. Der Iran-Irak-Krieg mit über 300.000 Toten und unzähligen Verletzten, die von Staats wegen heroisiert werden, bewog die Behörden, alle Moscheen des Landes mit Rampen auszustatten.
Den mit Marmor ausgelegten Boden mag ich mit meinen schmutzigen Reifen gar nicht berollen. Doch die Aufsicht bittet mich freundlich herein. Es ist gerade Gebetsstunde und ca. 200 Gläubige knien, den Kopf auf kleine runde Gebetssteine gesenkt, Richtung Mekka. An der linken Seite der Halle sehe ich einen mit Silber vergitterten Schrein, in dem der Sarg, verhüllt mit grünen Tüchern, aufgebahrt ist – oder ist es eine Replik? Jeder Besucher küsst das Gitter, murmelt Gebete und wirft Rial-Scheine durch die Öffnungen. Meterhoch gestapeltes Geld erinnert mich an Dagobert Duck und in der Tat entdecke ich unter den Scheinen mehrere Dollar-Noten. Iraner sind pragmatische Menschen.
Ich habe viel Zeit die Gläubigen bei ihren Gebeten zu beobachten und frage mich, wie es damals zur islamischen Revolution kommen konnte. Vielleicht werde ich in den drei Monaten, die vor mir liegen und nach über 7.000 Kilometern eine Antwort finden.”