Reiseleiter Lucio liebt den Regenwald 28. September 2015

Die Geschichte vom flötenden Peruaner

Berit SellmannMona ZaqqaMara NeubauerSabrina FehringStephan StoberJochen BeckertSandra HaunDaniel KüngOtfried SchöttleLisa Praefke

Obsthändler, Bronzeschmied, Lehrer, Farmer, Anthropologe, Reiseleiter. Das ist die spannende und abwechslungsreiche Biografie von Lucio Huanccollucho Surco, unserem Reiseleiter in Peru.

„Mit sieben habe ich angefangen zu arbeiten. Ich habe zunächst meiner Mutter beim Obsthandel auf dem Markt geholfen, bis ich älter war.“

Lucio wuchs mit sieben Geschwistern auf und war einer von vier Jungen in der Familie. Als er älter war, griff er seinem Vater kräftig unter die Arme, denn als gefragtester Bronzeschmied Cuzcos hatte der viel zu tun. „Rund 95 % aller Gedenktafeln und Bronzestatuen in Cuzco sind von uns“, berichtet Lucio stolz. Mit 17 beendete er die Schule und entschied sich dafür, Freiwilligendienst zu leisten. Lucios Muttersprache ist die indigene Sprache Quechua und so fasste er den mutigen Entschluss, im damals für ihn geheimnisvollen und unbekannten Regenwald als Lehrer für die dort lebenden Kinder der indigenen Stämme zu arbeiten. Eine Schule wurde sein neuer Arbeitsplatz, dort lehrte er rund zwei Jahre in seiner Muttersprache. „Das wurde allerdings irgendwann zum Problem“, sagt Lucio und wirkt nachdenklich. „Damals erklärte unsere Regierung Quechua quasi für verboten. Viele Kinder, die Quechua sprachen, wurden also ausgeschlossen. Deswegen wollte das keiner mehr lernen.“


Hintergrund: Cuzco

Cuzco ist Lucios Heimat und liegt in rund 3.500 m Höhe.

Cuzco ist Lucios Heimat und liegt in rund 3.500 m Höhe.

Cuzco ist das Zentrum der gleichnamigen Provinz im peruanischen Hochland. Besonders bekannt ist die Stadt als Ausgangspunkt für Reisende zum Welterbe Machu Picchu. Die Stadt selbst wurde von der UNESCO in die Liste der Weltkulturerben aufgenommen und liegt in 3.416 m Höhe. Rund 350.000 Personen leben hier traditionell zusammen, was sich in vielen Aufführungen und Festen äußert, die den vielfältigen Bräuchen und Lebensweisen entstammen. Trotzdem ist Cuzco auch eine sehr moderne Stadt: Die Infrastruktur dort ist vorbildlich für Peru und eine Flughafen- und Zuganbindung erleichtert den Transport in die umliegenden Gebiete und über weite Distanzen. Bei unserer Peru-Erlebnisreise besuchen wir Lucios Heimat ebenfalls und übernachten dort vier Tage in Folge, um die Stadt umfassend zu erleben.


Vom Lehrer zum Farmer

Lucio beendete schließlich seine Tätigkeit als Lehrer, weil er tiefer in diesen Regenwald vordringen wollte, der ihn so fasziniert hatte. Bei seiner Arbeit dort lernte der heutige Reiseleiter zwei verschiedene indigene Ethnien genauer kennen: die Machiguenga und die Asháninka oder auch „Campa“. Durch seinen regen Kontakt mit diesen Volksgruppen, traf er später auch seine Frau. Einige Zeit später, als Lucio schon etwas älter war, entschloss er sich schließlich eine Farm zu bauen. Gesagt, getan und so arbeitete er längere Zeit als Farmer und blieb so sechs weitere Jahre im Regenwald. Wenn Lucio von dieser Zeit spricht, gerät der herzliche Peruaner etwas ins Schwärmen. „Das war eine großartige Erfahrung. Ich habe so viel über Tiere gelernt! Ich habe alles im Urwald gegessen, probiert und von ihm gelebt.

Auch heute besucht Lucio noch gern die indigenen Einwohner Perus

Auch heute besucht Lucio noch gern die indigenen Einwohner Perus.

Meine Frau und meine Mutter verstanden sich damals besonders gut aufs Kochen und Kräuter sammeln“, erzählt Lucio. Gleichzeitig baute er auf seiner Farm Naturalien wie Mais oder wertvollen Kaffee an, um dem Regenwald wieder etwas zurückzugeben. Das ganze Wissen dazu bezog er von den Asháninka, mit denen ihn eine solide Freundschaft verband. Von ihnen lernte er auch ganz spezielle Techniken, um im Fluss zu fischen, besondere Rituale und alles über Pflanzen und ihre heilenden Wirkungen. Lucio ist also ein echtes Multitalent in Sachen Natur. Unseren Reisenden zeigt er deshalb auch besonders gern die vielfältige südamerikanische Tier- und Pflanzenwelt. Zu vielen Pflanzen am Wegesrand kennt er außerdem spannende Geschichten und Weisheiten!


Hintergrund: Die Asháninka

Die Asháninka, auch „Campa“ genannt, sind ein indigenes Volk, das teilweise in Brasilien und Peru beheimatet ist. Zwischen 25.000 und 65.000 Personen gehören dieser Volksgruppe an, das macht sie zu der größten der circa 65 indigenen Völker, die in den östlichen Regenwaldgebieten leben. Ihre eigene Sprache unterteilt sich in knapp vier Dialekte, die allerdings so ähnlich sind, dass sich die unterschiedlichen Dialektgruppen in der Regel untereinander verstehen. Dies kann man sich am besten mit den deutschen Dialekten vorstellen: Ein Hamburger wird jemanden aus dem Ruhrgebiet trotzdem verstehen, weil die Ausgangssprache das gemeinsame Deutsch ist. Die traditionellen Asháninka leben größtenteils vom nachhaltigen Anbau verschiedener landwirtschaftlicher Produkte, darunter Süßkartoffeln, Mais, Bananen, Kaffee, Kakao und Zuckerrohr.

Bekannt sind die Schamanen der Asháninka auch für K’atú. Ein berauschendes Getränk mit circa 4 % Alkoholgehalt, das unter den Inka wegen seiner angeblich stimmungshebende Wirkung konsumiert wird.

Hierzulande wird zur Unterstützung der Asháninka-Kultur in München die Kaffeesorte „München Kaffee“ verkauft. Von diesem Kaffee gehen pro verkauftem Kilogramm rund 20 Cent an die Asháninka und ihren Präsidenten Guillermo Naco.


Zurück in die Stadt

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Trotz des Terrorregimes hat sich Lucio seinen Optimismus bewahrt und flötet gerne bei jeder Gelegenheit, die sich ihm bietet.

Nachdem er im Regenwald sehr viel Erfahrung in der Natur sammelte, entschied sich Lucio zurück nach Cuzco zu gehen. In der großen Stadt, die man auch als Nabel der Welt bezeichnet, begann er Anthropologie zu studieren. Ein Unterfangen, das sich als nicht so leicht erwies, denn zu Lucios Studienzeit, in den Achtzigerjahren, terrorisierte die radikal linke Guerillaorganisation Sendero Luminoso, zu Deutsch „leuchtender Pfad“, das Land. Davon betroffen waren auch Universitäten, die vorsichtig mit gelehrtem Stoff umgehen mussten. Alles, was in irgendeiner Form gegen die Gruppierung gerichtet war, wurde verboten und bestraft. In einem Studiengang, der sich hauptsächlich mit der Wissenschaft des Menschen, vielen philosophischen und verschiedenen weltanschaulichen Themen beschäftigt, war dies nicht so einfach. „Ständig mussten wir aufpassen“, sagt Lucio. „Ich war in der Studentenvertretung und stets auf der Hut, was ich angesprochen habe. Trotzdem war einmal die Polizei hinter mir her und wollte mir Regimekritik anhängen. Ich bin froh, dass diese Zeit jetzt vorbei ist.“


Hintergrund: Sendero Luminoso

Der „leuchtende Pfad“, so die deutsche Bezeichnung, ist eine maoistische und kommunistische Partei und Terrororganisation in Peru. Internationale Bekanntheit erlangte sie als verantwortliche Triebkraft für zeitweise bürgerkriegsähnliche Zustände, in denen rund 70.000 Menschen ihr Leben verloren. Der Großteil der Opfer wuchs mit Quechua als Muttersprache auf. Parteiintern waren für die vielen Mordfälle allerdings nicht die regierenden Organe, sondern Mitglieder einer linken Guerillabewegung verantwortlich.


Auf der Flucht nach Deutschland

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Auf dem Weg nach Deutschland musste Lucio seine malerische Heimat zurücklassen

Sein Studium in Cuzco schloss Lucio mit einem Abschluss ab, der hierzulande wohl dem mittlerweile eingesetzten Bachelor gleichkäme. Er sammelte zudem noch einige Erfahrung als Dozent, bevor die damals schlechte Lage Perus ihn dazu zwang auszuwandern. Sein Glück versuchte Lucio in Deutschland zu finden. Dort erlebte er einen absoluten Kulturschock – im positiven Sinne! „Ich habe in Deutschland unglaublich viele verschiedene und nette Menschen kennengelernt. Es war eine großartige Erfahrung, obwohl ich Peru sehr vermisst habe“, freut sich Lucio und in seiner Stimme schwingt Euphorie mit. Aber auch weniger schöne Momente gab es für Lucio in Deutschland. „Das Land war im Freudentaumel der Wiedervereinigung, trotzdem gab es auch nicht so schöne Begegnungen. Ich habe mich manchmal mit Neonazis angelegt.“ Geschlagen hat sich der Reiseleiter nie in Deutschland. „Es gab mal laute Diskussionen, aber noch nie eine Schlägerei. Zum Glück“, lacht Lucio. Trotz Anfeindungen bleibt er eben ein waschechter, herzensguter und lebensfroher Südamerikaner.

Ein Anthropologe als Reiseleiter

Nach der Rückkehr in seine Heimat beschäftigte sich Lucio noch weiter mit Anthropologie, bevor er schließlich beginnt, Reisen zu leiten. Richtig: einfach so. In den späten Neunzigern war für diese Tätigkeit in Peru weder eine Prüfung noch eine Lizenz vorgesehen und so konnte Lucio neben seinen letzten Jahren an der Uni als freiwilliger Reiseleiter loslegen. „Schon als Kind wollte ich etwas mit Menschen machen“, sagt Lucio. Ein bisschen klingt das wie die vielen Studenten, die hier in Deutschland „irgendwas mit Medien“ machen wollen. „Deswegen habe ich mich dann für das Studium und die Tätigkeit als Reiseleiter danach entschieden!“ Der Rest ist Geschichte:

Als eine Reisegruppe aus Japan in Peru eintrifft, erklärt sich Lucio sofort bereit, für sie die Reiseleitung zu übernehmen und den Reisenden aus dem fernen Osten sein Heimatland zu zeigen. Zu dieser Zeit gab es ein großes Volksfest in Cuzco, das bis heute jeden Mai oder Juni stattfindet. Lucio begleitete die Reisegruppe dorthin und war selbst so begeistert von der Festivität, dass er beschloss, seine Diplomarbeit über diese zu schreiben. Nach einiger Zeit wurde ihm dann sein Diplom zuerkannt und Lucio vertiefte seine Tätigkeit als Reiseleiter. Der Tourismussektor wuchs rasch und stark, mittlerweile war eine Lizenz erforderlich, die unser Reiseleiter allerdings durch seine Erfahrung ohne große Probleme erhielt.

Heute leitet das Multitalent Lucio jährlich viele Reisen von WORLD INSIGHT und beeindruckt mit seinem unermüdlichen Geist und seinem scheinbar nie versiegenden Wissen. Zu allem kennt Lucio eine nette kleine Anekdote, die er dir sicher gern erzählt. Sei es die Geschichte vom Drachenblut – einem sagenumwobenen Naturharz – von dessen Wirkung die indigenen Völker schon lange vor der Entdeckung durch Europäer wussten. Oder die Entwicklung der Quinoa-Sorten, die sich über die Zeit in Peru von einstmals über 100 auf mittlerweile lediglich acht reduziert haben. Man merkt: Lucio ist ein Reiseleiter mit Herz, der es liebt, Reisenden seine Heimat näherzubringen.

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