Reportage 1. Februar 2016

Iran: ein Land voller Überraschungen

Otfried Schöttle

Das Land im Orient überrascht in jeder Hinsicht: ein Ajatollah, der gütig schaut, eine Hauptstadt, die alles andere als konservativ ist, eine Kultur, die alles in den Schatten stellt und offene, freundliche Menschen.

Die erste Begegnung mit Iran beginnt im Kopf. Dort, wo die Vorurteile brodeln, die westliche Medien und Politiker so sorgfältig in uns gepflanzt haben, wie ein Botaniker eine vom Aussterben bedrohte Pflanze. Entscheidet man sich dennoch für eine Tour nach Iran, kommt schon das nächste Problem: Freunde und Verwandte werden euch nicht verstehen, sie werden euren Plan belächeln, in dieses Land zu reisen, sie werden ihren Kopf schütteln und im schlimmsten Fall in Panik und Entsetzen ausbrechen (und wir reden hier nicht von Freunden und Verwandten, die täglich die Bildzeitung lesen, sondern die FAZ oder die Süddeutsche).

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WORLD INSIGHT-Geschäftsführer Otfried Schöttle, Produktmanagerin Wilhelmine Jörrisen und Country Manager Herbert Kössner (v.l.) entdecken Iran.

Ist Iran nicht das Land, das auf einer Liste mit Krisenstaaten wie Syrien oder Sudan steht? Den sogenannten „Rogue States“, den Schurkenstaaten, die gemäß Amerikas Einschätzung den Terror unterstützen und die „Achse des Bösen“ bilden? Selbst Länder wie Saudi Arabien, Afghanistan oder Irak findet ihr  nicht darauf! Warum also nach Iran reisen, um dort seinen Urlaub zu verbringen? In einem Land, in dem sogar die Stewardessen der Lufthansa bei ihrer Ankunft einen Schleier tragen müssen? Wo Diskotheken verboten sind und Alkoholgenuss in der Öffentlichkeit mit Peitschenhieben bestraft werden kann? Wo man Frauen nicht in die Augen schauen darf, wo man mindestens 100 mal am Tag betet, wo man Amerikaner per se hasst und wo das Mittelalter Gegenwart ist?

Warum also nach Iran reisen, um dort seinen Urlaub zu verbringen?

Bleibt stark, reist dorthin! Neben unglaublich schönen Reiseeindrücken werdet ihr eine Erkenntnis mit nach Hause nehmen, die ihr schon immer vermutet habt: der Westen ist nicht immer objektiv in seinen Ansichten und überall auf der Welt endet die Freizügigkeit dort, wo Angst und Misstrauen beginnen. Unser Bild von Iran ist so falsch wie der Eindruck vom Tor zur Villa Khan-e Tabatabei eines persischen Kaufmannes in Kaschan: ein Tor, das so klein ist, dass man eine Hütte dahinter vermuten müsste, nicht aber einen mehrere tausend Quadratmeter großen Prachtbau! Schaut deshalb näher hin und werft den von westlichen Medien gewobenen Schleier vor euren Augen über Bord: Dann entdeckt ihr hinter dumpfen Äußerungen eines Ahmadinedschad ein Land mit unglaublich gastfreundlichen und aufgeschlossenen Menschen, mit einer Kultur, die ihresgleichen sucht, und mit Landschaften, die der Welt entrückt zu sein scheinen. Und selbst die Schleier, die oft bildhübsche Köpfe bedecken (mit Augen, in die ihr auch blicken dürft, ohne dass euch der Mann daneben ein Messer an die Gurgel hält) scheinen mehr der Zierde zu dienen als dem Verstecken. Mit einem Satz: Iran ist alles andere als das freudlose, ernste Land, das wir im Westen so gerne aus ihm machen.



Auf dem Sprung in die Zukunft: Teheran

Beim Landeanflug auf die iranische Hauptstadt werden tatsächlich die Schleier aus den Taschen geholt und die Ansage der Fluggesellschaft spricht von iranischen Vorschriften, an die sie sich halten muss. Es sind aber keine Tschadors (die dunklen Tücher, die lediglich das Gesicht oder Partien des Gesichts freilassen und von konservativen iranischen Frauen getragen werden), die über die Köpfe fallen, und schon gar keine Angst einflößenden Burkas, die manche afghanischen oder pakistanischen Frauen in gespensterartige Wesen verwandeln. Es sind modische Kopftücher in allen Farben, die die Haarpracht zwar auch in Ansätzen verdecken, sie aber gleichzeitig vorteilhaft in Szene setzen. Getragen werden sie von selbstbewusst dreinblickenden Frauen, die nicht so aussehen, als würden sie sich von ihren Männern etwas gefallen lassen. Als ich Ramin Abdollahi, einen unserer Reiseleiter in Iran, nach meiner Ankunft von meinen Beobachtungen erzähle, lächelt er: Die Männer in Iran hätten immer die letzten beiden Worte. Und die wären: „Ja, Schatz!“. Humor haben sie also auch noch, diese Perser, deren Anführer und Ayatollahs doch immer so finster dreinblicken, als hätten sie sich den verbitterten Abt aus Ecos „Der Name der Rose“ zum Vorbild genommen, der Lachen für eine Sünde hält.

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Das Elburs-Gebirge bildet die herrliche Kulisse der Metropole.

Teheran liegt herrlich am südlichen Rand des Elburs-Gebirges, im Durchschnitt 1.191 Meter über dem Meeresspiegel. Im Durchschnitt deshalb, weil das Gefälle innerhalb der Stadt enorm ist. Während der niedrigste Punkt bei etwa 700 Metern im südlichen Teil der Stadt liegt, befindet sich der höchste bei mehr als 1.800 Metern. Überragt wird die Stadt von dem 435 Meter hohen, sechstgrößten Fernsehturm der Welt, dem Borj-e Milad des Architekten Reza Hafezi, dessen Krönung der größte Turmkorb der Welt ist.

Hier kostet der Quadratmeter Wohnfläche schon mal umgerechnet € 5.000.

Verbunden werden Teherans Stadtteile, die tagsüber 14 Millionen Menschen beherbergen und nachts nur acht, von einem kleinen Metronetz und einem riesigen Geflecht von Straßen und Autobahnen, die zu allen Tages- und Nachtzeiten hoffnungslos überfüllt sind und für jenen Smog sorgen, für den Teheran bekannt und berüchtigt ist. Dort, wo die Luft besser ist und von wo aus man die Stadt herrlich überblickt, liegen die teuersten Stadtviertel Teherans. Hier kostet der Quadratmeter Wohnfläche schon mal umgerechnet € 5.000. Dafür kann man an klaren Tagen einen Blick auf den 66 Kilometer nordöstlich gelegenen, 5.604 Meter hohen Damavand werfen oder im Stadtteil Darbant in kitschig verspielten Restaurants essen gehen, durch die echte Wasserfälle fließen und deren Architektur scheint, als sei sie der Feder Walt Disneys entsprungen.

„Teheran ist eine extrem teure Stadt“, erklärt Ramin, deshalb könnten sich viele ärmere Menschen, die in der Stadt arbeiten, keine Wohnung in Teheran leisten und müssen pendeln. Auf der anderen Seite gebe es die „Superreichen“, für die pompöse Wohnprojekte gebaut werden und die in Porsche Cayennes oder in BMWs unterwegs seien, obwohl die Einfuhrzölle dieser Monsterautos (die Normalbevölkerung greift auf kleine iranische Marken wie Saipa, Samant oder in Iran zusammengebaute Peugeots 206 zurück) bei etwa 150 % des Kaufpreises liegen. Das Geld dieser Oberschicht komme in erster Linie aus dem Ölgeschäft, meint Ramin, in zweiter aus der daraus resultierenden Nachfrage nach hochwertigen Gütern.

Shopping à la Iran

Shopping à la Iran

Weil globale Marken wie McDonalds und Co. fehlten, werde die lokale Wirtschaft massiv angeregt. „Momentan gibt es wohl kaum eine Stadt auf der Welt, in der man besser Geschäfte machen könnte“, meint deshalb auch unser Country Manager Herbert Kössner, der seit fünf Jahren in Iran lebt. Der Preis dafür sei jedoch hoch, sagt der gebürtige Österreicher mit einem Lächeln: „Durch all den Behördenkram und die Unvorhersehbarkeiten bin ich hier in den letzten fünf Jahren bestimmt 10 Jahre gealtert“.


Treffpunkt Café Naderi

Intellektuell und keineswegs weltfremd, willkommen im Café Naderi!

Intellektuell und keineswegs weltfremd, willkommen im Café Naderi!

In Reiseführern kommt Teheran meist nicht gut weg. Der Smog, die teilweise gesichtslosen Gebäude, die fehlende Geschichte der Stadt, die erst seit 1795 Hauptstadt von Iran ist – all das scheint die niederschmetternden Urteile zu rechtfertigen, die dem Reisenden raten, Teheran schnellstmöglich hinter sich zu lassen. Allenfalls das Nationalmuseum, das eine 8.000 Jahre alte Geschichte überschaut, das Kronjuwelenmuseum, das den mit 182 Karat größten Diamanten der Welt beherbergt, oder die ehemaligen Shah-Paläste seien Besichtigungen wert. Aber spätestens, wenn man das alles gesehen hat, führe der beste Weg direkt aus der Stadt hinaus, um in Isfahan, Qom oder Shiraz das „wahre“ Iran zu erleben. Vielleicht verdankt Iran solch einer verstaubten Literatur auch das Image, ein reines Kulturland zu sein, das etwas für Kunstliebhaber sei, nicht aber für jüngere, lebenslustige Entdecker.

Sicher, für überdimensionierte Shoppingcenter muss man nicht nach Teheran fliegen – sie sind aber dennoch einen Besuch wert, weil man darin Menschen mit großen Augen bewundern darf, die sich auf ein neues Iran freuen! Oder werft einmal einen Blick vom Fernsehturm Borj-e Milad – Seite an Seite mit verliebten jungen iranischen Pärchen, die auf ihre Stadt schauen, auf ihre Zukunft! Ist das nicht sehenswert? Dann wären da noch die Restaurants und Teehäuser, wie zum Beispiel das Couchini, in dem zu Shah-Zeiten der persische Marlon Brando Behruz Vosoughi seinen bekannten Streifen „Kandoo“ drehte. Oder das Café Naderi, in das mich Ramin führt, wo sich Intellektuelle und Künstler treffen, um über aktuelle Politik zu plaudern. Mit seiner Brille, seinen klugen Augen, seiner lässigen Art passt Ramin ins Bild der Denker und Kritiker einer Regierung, die zutiefst misstrauisch gegenüber dem Westen ist. Ramin hat den Blick von innen und von außen auf sein Land.

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Reiseleiter Ramin Abdollahi ist einer der besten seiner Zunft.

Aufgewachsen ist der Sohn zweier Perser im nordrhein-westfälischen Hilden, dann im Alter von acht Jahren mit seinen Eltern nach Iran gezogen, heute lebt er mit Frau und Tochter eigentlich in Vancouver. Deshalb eigentlich, weil Ramin acht von zwölf Monaten als Reiseleiter in Iran unterwegs ist. Kein ganz einfaches Leben, wie er sagt, aber er liebt eben seinen Job, mit Gästen durch seine Heimat zu reisen, obwohl ihm Deutschland und Kanada natürlich gleichermaßen Heimat sind. Ob wir im Café Naderi oder auch sonst auf der Straße in Teheran frei reden könnten, frage ich Ramin. Ja, das könne man, nur dürfe man das Staatsoberhaupt Ajatollah Ali Khamenei dabei nicht kritisieren. Khamenei ist der starke Mann im Land, auch wenn der Präsident Hassan Rohani heißt. Schließlich gehen alle Präsidentschaftskandidaten aus einer Vorauswahl durch Khamenei hervor. Die Regierung besteht aus Expertenrat, Wächterrat und noch einem unabhängigen Schlichterrat. Nur letzterer untersteht dem Ajatollah nicht. Auch wenn Rohani ein Mann Khameneis sei, so sei er doch eine gute Wahl. Und eine gerechte, denn anders als bei Ahmadinedschad sei es bei der Wahl Rohanis fair zugegangen. „Bei Ahmadinedschad wurden damals die Wahllokale um 20 Uhr geschlossen und um 22 Uhr stand bereits der Sieger fest. Durch die Zeitverschiebung kam ich dadurch in Kanada gar nicht mehr zum Wählen, das war Betrug“, erklärt Ramin so nüchtern, als sei das ohnehin zu erwarten gewesen.

Der Westen braucht Iran als stabiles Land im Mittleren Osten und Iran braucht den Westen, um sich weiter zu entwickeln.

Für ihn war der Sieger damals der Reformer und Anhänger der so genannten „Grünen Bewegung“ Hossein Musavi. Nicht alle Iraner reagierten damals so besonnen wie Ramin, was auch bekannt ist: Wir kennen alle die Bilder von den Demonstrationen in Teheran, von den Verhaftungen der Kritiker, von der Polizeipräsenz an vielen Orten. Davon sieht man heute kaum noch etwas: Zwar sitzen noch immer Oppositionspolitiker in Haft, aber die Wahl von Rohani macht vielen im Volk Hoffnung. Und auch Khamenei selbst geht auf den Westen zu: Seine Fatwa (religiöser Aufruf) gegen den Bau einer Atombombe war die ausgestreckte Hand, die Präsident Obama glücklicherweise ergriff. „Der Westen braucht Iran als stabiles Land im Mittleren Osten und Iran braucht den Westen, um sich weiter zu entwickeln.“ Ramin erzählt gerne über Politik. Und man hat das Gefühl, dass man bei einer Iran-Reise auch nicht um dieses Thema herumkommt – die Menschen sind einfach politisch, nicht nur in diesem Café.


Zu Gast beim Ajatollah

Der Ayatollah in Qom ist intellektuell und bekundet Respekt gegenüber allen Religionen

Der Ayatollah in Qom ist intellektuell und bekundet Respekt gegenüber allen Religionen.

Nachdem Teheran alles widerlegt hat, was man sich vorstellt oder gelesen hat (modern, es wurde viel gelacht, über Politik wurde offen gesprochen, sogar Frauen schauten mir öfters in die Augen als in Köln), freue ich mich auf Qom, die Stadt, die als eine der heiligen Städte der Schiiten als besonders konservativ gilt. Endlich einmal das Image erleben, das wir uns von Iran erwarten. Auf dem Weg dorthin passieren wir noch Ajatollah Chomeinis riesiges Grabmal, das zum religiösen Schul- und Einkaufszentrum ausgebaut werden soll und wo just einen Tag nach unserem Besuch sein Todestag gefeiert wird (Ramin: „Die eine Hälfte der Pilger hier sind echte Trauernde, die andere ist bestellt und bezahlt). Dann also Qom: Meine Kollegin und unsere für Iran zuständige Produktmanagerin Wilhelmine Jörissen zupfen sich noch einmal den Schleier besonders zurecht, damit auch ja keine Haarsträhne zu sehen ist, ich wähle eine kleine Bridgekamera anstatt der großen Canon EOS 5, weil allzu professionelles Fotografieren und Filmen hier nicht gerne gesehen werden und los geht es, um den Schrein der Fatima Masuma zu entdecken, den eine mächtige goldene Kuppel krönt.

Eine Atmosphäre mit Gänsehaut-Feeling!

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Das Heiligtum der Schiiten in Qom: Der Schrein der Fatima Masuma

Nicht-Muslimen ist der Zugang eigentlich verwehrt – nur das Gelände des Schrein-Komplexes, auf dem sich eine der größten schiitischen Ausbildungsstätten für Geistliche befindet, die islamisch-theologische Hochschule der Provinz Ghom, kann problemlos besichtigt werden. Aber wir haben riesiges Glück, wie uns Ramin versichert: Wilhelmine und ich gelangen mit dem Strom der Gläubigen in das Herz der Anlage bis zum Schrein. Eine Atmosphäre mit Gänsehaut-Feeling! Hunderte von tiefgläubigen Menschen murmeln ihre Gebete, knien und wiegen sich auf den ausgelegten Teppichen – es ist wie im Märchen aus 1001 Nacht. Anschließend haben wir eine Audienz bei einem Ajatollah, der dem Bild entspricht, das wir von einem muslimischen Gelehrten haben: Er trägt das lange Gewand der iranischen Geistlichkeit und ihre Kopfbedeckung, sein grauer Bart ist sorgfältig gestutzt und die Nase ist markant. Nur der Gesichtsausdruck ist weit weniger scharf als die des Revolutionsführers Chomeini: Seine Augen blicken gütig und auch das, was er uns erzählt, klingt nicht nach Bekehrung, sondern nach Frieden und Versöhnung zwischen den Völkern und Religionen. Er ist eine Art intellektueller Geistlicher, der sich keinen Schwärmereien hinzugeben scheint, der gut überlegt und verantwortungsvoll handelt, den man alles fragen darf, auch Kritisches zum Thema Islam, der geduldig auf alles antwortet und dem Fragenden dabei immer freundlich ins Gesicht schaut, auch wenn derjenige nicht immer gleich alles versteht. Wir verlassen Qom mit dem Gefühl, kein konservatives Nest besucht zu haben, sondern eher eine Klosterschule nach Vorbild von Hermann Hesses Mariabronn, wo der umtriebige Goldmund beim theologischen Gelehrten Narziss Station macht und dessen grandiosen Scharfsinn bewundert.


Trauben und kein Wein

Auf unserer Weiterfahrt nach Isfahan sehen wir zwischen der kargen Landschaft der Ausläufer des Zagros-Gebirges, das hier Kuhrud-Gebirge heißt, Felder mit Weintrauben, Baumwolle und Getreide. Wir denken natürlich direkt an die bekannte Weinsorte „Shiraz“, die seit der Revolution im Jahre 1979 selbstverständlich nicht mehr in Iran produziert wird, sondern in Chile, Südafrika oder Australien. Wir kommen auf die Zeit vor der Revolution zu sprechen: „Unter dem Shah war Iran ein westliches Land“, erklärt uns Ramin. Sein Fehler sei gewesen, dass er die Landbevölkerung vernachlässigt habe und alles in die Städte investiert habe. „Er wurde als dekadent angesehen“, erklärt Ramin, am Kaspischen Meer habe es sogar Strände mit Oben-Ohne-Baden gegeben.

Du kannst den Menschen keine Ketten anlegen, das weiß mittlerweile auch unser Staat.

Heute ist so etwas undenkbar, Baden an sich ist schon ein Problem. Und das ist dann auch wirklich ein „Haar in der Suppe“, wenn man an Iran-Reisen denkt: Baden nur in Badeanstalten nach Geschlechtern getrennt, kein richtiges Relaxen am Meer, das sind natürlich Sinnesfreuden, die gerade in einem Wüstenland manch Urlaubsreisenden abschrecken, weiß auch unser Country Manager Herbert und führt gleichzeitig fort: „Aber es hat sich dennoch sehr viel getan in den letzten fünf Jahren. Noch 2010 hat es überall an den Straßen Polizeipräsenz gegeben, die Frauen wurden zurechtgewiesen, wenn sie nicht korrekt verschleiert waren.“ Auch Herbert selbst wurde manchmal angesehen „wie ein Marsmensch“. „Heute sind die Menschen einfach nur neugierig und lächeln mich an“, so Herbert. Auch gebe es kaum noch auffällige Polizeipräsenz. Nur später, als wir in Isfahan an der Jey-Brücke junge Menschen sehen, die spontan zu Folklore zu tanzen beginnen, zeigt sich die Staatsmacht – allerdings nicht mit Macht und Gewalt, sondern mit vorsichtiger Zurückhaltung und es macht den Anschein, als seien die eingreifenden Polizisten selbst nicht besonders von ihrer eigenen Aktion überzeugt. „Du kannst den Menschen keine Ketten anlegen, das weiß mittlerweile auch unser Staat“, meint Ramin.

"Du kannst den Menschen keine Ketten anlegen, das weiß mittlerweile auch unser Staat, mein Ramin"

Die Si-o-Seh-Brücke in ist ein beliebter Treffpunkt für junge Iraner in Isfahan.

Wir erreichen Kaschan, einen kleinen Ort mit einer charmanten Altstadt. Mitten darin liegen unsere traditionellen Gästehäuser „Negin“ und „Eshan“, außergewöhnliche Unterkünfte für Reisegäste in Iran, die wir für unsere Reisegruppen nutzen. Normale Hotels in Persien sind in der Regel recht gesichtslose Bauten mit manchmal sozialistisch anmutendem Touch: viele Stockwerke hoch, zweckmäßig eingerichtet, wenig Charme. Auch wir kommen um diese Unterkünfte nicht ganz herum – nämlich dort, wo es die traditionellen Häuser nicht gibt. Letztere sind anders: einfache, oft sehr unterschiedliche Zimmer, sehr charmant und manchmal mit Familienanschluss. Die Auswahl dieser Häuser ist wesentlich schwieriger, auch sind wir aufgrund der unterschiedlichen Zimmer gegenüber Gästen angreifbarer. Wir nutzen sie dennoch, weil sie etwas Besonderes sind, aber wir brauchen dazu auch Reisende, die ein besonderes Maß an Toleranz mitbringen. Dafür werden diese auch mit einer besonderen Atmosphäre belohnt – eine, die zu Iran passt, eine, in der man sich fühlt wie Marco Polo, als er sich die Seidenstraße entlang auf den weiten Weg nach China machte.

Ein Zimmer unseres Gästehauses in Kashan

Ein Zimmer unseres Gästehauses in Kashan

Wir gehen die Zimmer sorgfältig durch, trotz aller Tradition verfügen sie über Klimaanlage und saubere Bäder und natürlich müssen wir mit den Besitzern Tee trinken – ein guter Kontakt zählt hier alles! Und wir genießen es, plaudern über dies und das und am Ende hat man das Gefühl gemäß dem Motto unserer Fußballweltmeisterschaft 2006 zu Gast bei Freunden zu sein. Nach unserer Hotelbesichtigung sehen wir uns noch etwas in Kaschan um: erst in der schon eingangs erwähnten Villa Khan-e Tabatabei, wo sich hinter einer kleinen Tür ein Paradies aus Brunnen, Wasserbecken und herrlichen Stuckbauten auftut. Dann blicken wir vom örtlichen Hamam aus über die Lehmdächer der Altstadt und sehen vor der Kulisse des Zagros-Gebirges Kuppeln und geniale Windtürme, die schon vor hunderten von Jahren die Hitze der Wüste in kühle Luft für die darunter-liegenden Räume verwandelte. Und das bereits zu Zeiten, als man in Europa noch im finsteren Mittelalter lebte.


Zeitloses Isfahan

Apropos Mittelalter: Wer den „Medicus“ gelesen oder gesehen hat, der weiß, dass uns Iran kulturell lange Zeit mehr als nur eine Nasenlänge voraus war. Wir treffen hier auf eine unserer WORLD INSIGHT-Gruppen und begleiten sie einen Tag in dieser wunderbaren Stadt. Ich bin immer wieder erstaunt, was für nette und aufgeschlossene Menschen wir in unseren Reisegruppen haben. Es braucht kaum eine halbe Stunde und wir werden warm miteinander: reiselustige Leute mit Entdeckergeist sind eben auf der gleichen Wellenlänge! Mit unserem Reiseleiter Mehdi Karami gehen wir auf Tour, um die Sehenswürdigkeiten rund um den Naqsh-e Jahan Imam Platz zu erkunden. Während in Teheran die Gegenwart und Zukunft Irans zu liegen scheint, blickt man in Isfahan auf eine Geschichte, die ihren Höhepunkt unter den Safawiden zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert hatte, als Isfahan Hauptstadt war, die aber schon viel früher mit König Kyros beginnt: Kyros, der Krösus von Lydien besiegte, der das Perserreich der Achämeniden zum ersten Weltreich machte, der klug genug war, unterworfene Könige mit Respekt zu behandeln und die Götter unterworfener Völker zu verehren, der Babylon besiegte, der 537 v. Chr. die erste Doktrin für Menschenrechte erließ und der in diesem Zusammenhang 40.000 Juden aus der Sklaverei befreite, die sich nicht auf den Weg zurück in ihr heiliges Land machten, sondern unter anderem eine großartige Stadt wie Isfahan gründeten.


Wir sind fasziniert, dass es mitten in Iran eine heilige Stätte gibt, die über so viele christliche Bilddarstellungen verfügt.

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Wunderschöne Malereien in der Vank-Kathedrale

Ohne die Juden gäbe es also keinen Medicus und historisch verbindet Perser und Juden deshalb eigentlich ein gutes Verhältnis. „Substantiell haben beide Völker kein Problem miteinander“, meint Karami mit einem Wink auf die Gegenwart, wo das aktuelle Verhältnis zwischen Israel und Iran sehr angespannt ist. Während wir durch die Jameh Moschee schlendern und die „Hohe Pforte“ emporsteigen, hören wir von unserem Reiseleiter mehr über die spannende Geschichte: Vom ewigen Kampf der Sassaniden mit den Römern, vom Ende der Zarathustra-Religion und vom Anfang des Islam; von den Seldschuken, die vom 11. bis 12. Jahrhundert ein Reich von Usbekistan bis zur heutigen Türkei regierten; von einem Mann mit dem unaussprechlichen Namen Khajenizamolmolk, dem Begründer der großartigen Nisamir-Schulen; von Osmanen, die Sunniten sind und Safawiden, die der schiitischen Glaubensrichtung angehören; von Shah Abbas, der die Osmanen besiegte und die Portugiesen nach Hause schickte; vom Bau seiner 999 Karawansereien und von der Akquise von 30.000 Armeniern, die er ins Land holte, um Isfahan wirtschaftlich zu beleben. 25.000 von ihnen leben heute noch im Stadtteil Dschulfa. Mit Ramin, unserem Reiseleiter, mit dem wir seit Teheran auf Tour sind (Karami leitet in dieser Zeit unsere Reisegruppe weiter), machen wir uns auf nach Dschulfa, wo wir die für die Armenier so wichtige Vank-Kathedrale besuchen. Wir sind fasziniert, dass es mitten in Iran eine heilige Stätte gibt, die über so viele christliche Bilddarstellungen verfügt: Die Geschichte von Adam und Eva ist ebenso in üppigen Farben festgehalten wie der Turmbau von Babylon oder das Jüngste Gericht – es sind teilweise drastische Darstellungen aus dem 17. Jahrhundert, die in ihrer Art außergewöhnlich und freizügig sind, eine Überraschung für eine religiöse Stätte in Iran. Angeschlossen an die Kathedrale ist ein Museum, das auch vom Völkermord der Türken gegenüber den Armeniern berichtet.

Die Reisegruppe von WORLD INSIGHT

Die Reisegruppe von WORLD INSIGHT

Anders als wir Westeuropäer, die wir so gerne über andere Länder moralisch urteilen, bezieht Iran hier eindeutig Stellung zu diesem Teil der Geschichte und man nennt die Gräueltaten der Osmanen an den Armeniern mit dem Wort „Völkermord“ beim Namen.

Ich bin immer wieder erstaunt, was für nette und aufgeschlossene Menschen wir in unseren Reisegruppen haben.

Ab in die „Räuberhöhle“

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Geheimtipp “Räuberhöhle”: dunstiger Rauch der Wasserpfeifen und entspannte Atmosphäre

Nach so viel Geschichte und Kultur brauchen wir eine Pause. Und Ramin kennt dafür den geeigneten Ort: Wir folgen ihm durch den Bazar in eine Seitengasse, spazieren mitten durch einige Handwerksläden, in denen an alten Singer-Nähmaschinen herumgeschraubt wird oder Kassettenrekorder der Marke „Telefunken“ noch repariert werden. Dann stehen wir vor einer unscheinbaren Tür zu einem Lokal mit Kellergewölbe, das Ramin nur „Die Räuberhöhle“ nennt. Rauchschwaden kommen uns entgegen, genüsslich ziehen Perser und auch einige westliche Besucher an Wasserpfeifen, trinken dazu Tee, diskutieren über Gott und die Welt oder schauen einfach nur stumm den kleinen Wolken und Ringen nach, die sie mehr oder weniger kunstvoll in die stickige Luft pusten. Die Wände zieren Teppiche und die Decken hängen voller Lampen, Töpfe und traditioneller Wassergefäße, die über unseren Köpfen baumeln. Zwischen all dem Wirrwarr entdecke ich ein Schild, auf dem „No Photos“ steht – ein Gebot, an das ich mich nicht halten kann. Als ich tatsächlich fotografiere und filme, quittiert der Wirt das mit einem gütigen Augenzwinkern. Eine Gruppe junger Männer stellt sich sogar extra in Pose: Man merkt, dass die „Räuber“ dieser „Höhle“ ein sympathisches Publikum sind und wieder einmal sind wir schnell mit den Einheimischen im Gespräch. So wie mit Fatima, einer Studentin, die wir an der berühmten Si-o-Seh-Brücke treffen. Die junge Frau kommt aus einem kleinen Dorf im Norden Irans und ist erst seit kurzem in Isfahan. Ihr Englisch beschränkt sich auf „Hello“, unser Farsi auf „Salaam“ und so ist es wieder einmal Ramin, der dank seiner Sprachkenntnis für uns die Brücken schlägt. Sie erzählt selbstbewusst von ihrem Leben auf dem Land, vom Schritt in die Stadt und auch davon, dass sie sich von einem Mann „nichts vorschreiben lassen will“. Fatima begrüßt die aktuelle politische Entwicklung ihres Landes und träumt davon, einmal medizinisch-technische Assistentin zu werden – lebe deinen Traum!

Wir blicken auf Menschen, die wie wir davon träumen, in Frieden glücklich zu leben, auf offene vorwärtsgewandte, hoffnungsvolle und optimistische Männer und Frauen.

Wir drücken der jungen Frau zum Abschied von Herzen die Daumen und stürzen uns dann weiter unter die Leute an der Brücke. Wir treffen auf verliebte Pärchen, die den Zahandeh-Fluss entlang spazieren, auf Männer und Frauen, die am Flussufer picknicken und den Ausblick auf die Brücke genießen, auf Menschen, die leidenschaftlich diskutieren, auf junge Männer, die einfach unter den Torbögen der Brücke anfangen zu singen: von der Liebe, vom alten traditionellen Leben in Persien, von romantischen Vollmonden über der Wüste. Wir blicken auf Menschen, die wie wir davon träumen, in Frieden glücklich zu leben, auf offene vorwärtsgewandte, hoffnungsvolle und optimistische Männer und Frauen. Während für unsere Reisegruppe die Tour durch Iran weitergeht, müssen wir uns leider verabschieden, die Büroarbeit wartet. Was wir mitnehmen? Viele eindrucksvolle Begegnungen und die Erkenntnis, dass wir viele unserer Vorurteile Iran betreffend über Bord werfen können. Das Land befindet sich im Umbruch und es ist eine Wohltat, dass Neckermann & Co noch nicht mitbekommen haben, dass Persien viel mehr zu bieten hat als ein paar Steine, Tschadors und ein politisch fragwürdiges Image. Wer also ein Entdecker und kein Tourist sein will, der reist deshalb am besten jetzt!

Seid herzlich willkommen in Iran!

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