Ahmed Hougaali 7. September 2015

Zuhause im Hohen Atlas

Unser Reiseleiter Ahmed Hougaali macht gerade Heimaturlaub in Marokko. Die Geschichten eines nicht ganz einfachen Telefonats und eines ungewöhnlichen Werdegangs. Beginn und Ende: der Hohe Atlas.

Aus Ahmeds Telefonhörer dringt nur diffuses Rauschen, während meine Stimme gegen die 3.000 km Entfernung ankämpft. Höflich bittet er mich, es einen Moment später zu versuchen. Im Hohen Atlas Marokkos auf einer Höhe von 2.000 m sind andere Gesetze am Werk. Zumindest nicht die der reibungslos funktionierenden Internet- und Telefonverbindungen, die wir in Deutschland kennen. Es sind diese Gesetze des Hohen Atlas, die Ahmed den Weg vom kleinen Berberdorf, über ein Studium in Marrakesch bis hin zu seinem heutigen Beruf als Reiseleiter einschlagen ließen.

Seit nunmehr zehn Jahren führt Ahmed Gäste aus Europa durch sein Land. Er zeigt ihnen Marokkos faszinierende Königsstädte mit ihren lebendigen Souks und die unnachahmliche Imposanz der Kasbahs, eingerahmt von Dattelpalmen. Er zeigt ihnen auch die Wüste, denn sie ist es, die ihn ganz besonders fasziniert – schon seit er denken kann.


Marokko_Ahmed (c) WORLD INSIGHT 5

WORLD INSIGHT Reiseleiter Ahmed Hougaali, 36, ist in einem Berberdorf im Hohen Atlas groß geworden und unterhält eine innige Beziehung zur Wüste. Unsere Gäste erfreut er stets mit seiner positiven, humorvollen Art. Ahmed spricht nicht nur hervorragend Deutsch, sondern weiß auch gut mit deutscher Kultur umzugehen. Kölner sind für ihn übrigens genauso verrückt wie die Marokkaner selbst.


Vom Berberdorf an die Universität in Marrakesch

Marokko_Ahmed (c) WORLD INSIGHT 3

Ahmed posiert für die Kamera vor einem Dorf im Hohen Atlas.

Aufgewachsen in einer Nomaden-Familie im Hohen Atlas, war die Wüste nie weit entfernt. Genauer gesagt führt das Tal, an dem sein Heimatdorf liegt, direkt in das Sandmeer der nordöstlichen Sahara. Etwa 30 km Berg und Tal trennen das Dorf von der berühmten Todra-Schlucht. Bekannt ist seine Heimat für den Apfelanbau: Apfelbäume ziehen sich in Terrassenkulturen die Hänge hinab und versprühen ländliche Idylle. Von dem Anbau verdient eine Familie etwa 140.000 Dirham (umgerechnet 13.000 €) im Jahr, zum Leben reicht das allerdings nicht. Heute, so erzählt mir Ahmed, gibt es in seinem Heimatdorf eine Schule, ein Krankenhaus, asphaltierte Straßen und eine Wasserleitung.

Damals, in Ahmeds Kindheit, war das noch anders. Es gab kein Krankenhaus, keinen Asphalt und keine Wasserleitung – die nächste Schule befand sich sieben Kilometer entfernt. Wäre Ahmed damals nicht so schlecht im Zählen gewesen, wäre er wohl nie zur Schule gegangen, und wohl auch kein Reiseleiter geworden. Der Beginn einer ungewöhnlichen Geschichte: Als Kind musste er die Schafe und Ziegen seiner Familie hüten, doch er verlor immer wieder ein paar der Tiere. „Meine Eltern haben mich irgendwann gefragt, warum ich ständig Tiere verlor. Ich antwortete ihnen, dass ich nicht zählen könne.“ Daraufhin schickten ihn seine Eltern als Strafe zur sieben Kilometer entfernten Schule, damit Ahmed dort Mathematik lernen konnte und ihm auch ja keine Ziege mehr verloren ging. Der Weg zur Schule war weit, doch Ahmed ging hin – zu Fuß! Selbst im Winter, wenn es schon einmal über einen Meter hohen Schnee geben konnte. Im Hohen Atlas sind Schnee und klirrende Kälte keine Seltenheit, Marokko verfügt sogar über ein relativ zuverlässiges Skigebiet, erklärt mir Ahmed.

„Nomaden ziehen immer weiter, deshalb bin ich Reiseleiter geworden.“

Marrakesch (c) WORLD INSIGHT

Sehr lebhaft geht es in den Straßen von Ahmeds Studienort Marrakesch zu.

Seine Zeit in der Schule, die eigentlich erst wegen einer Zählschwäche begann, ermöglichte ihm später auch ein Studium. Er entschied sich für marokkanisches Recht auf Französisch an der Universität in Marrakesch, ein Fach, das lange Zeit der Elite vorbehalten blieb. Doch Ahmed setzte sich durch, denn er wollte die Natur, die faszinierende Wüste, die majestätischen Berge des Atlas, die er in seiner Heimat schätzen und lieben gelernt hatte, verteidigen und er sah das allgegenwärtige Müllproblem Marokkos, das Bewusstsein für die eigene Umwelt, das bei vielen seiner Nachbarn schon mit den eigenen vier Wänden aufhörte. Rechtswissenschaften erschien ihm am nützlichsten dafür, und so absolvierte Ahmed in fünf Jahren sein Diplom in Marrakesch. Doch die Natur ließ ihn nicht los, ein Büro in Marrakesch war nicht der Platz, den er sich für sein Leben vorstellte. Er wollte den Menschen diese rötlichen, bizarr geformten Felswände des Atlas, die gigantischen und doch sanft geschwungenen Dünen der Erg Chebbi und das satte Grün der Oasen im Dades-Tal zeigen und ihnen ein Bewusstsein für die Verletzlichkeit und Einzigartigkeit dieser Orte geben. Der Beruf als Reiseleiter gab ihm diese Chance. So ließ er sich nach dem Studium an der Guide-Schule zum offiziellen Reiseleiter ausbilden und lernte die deutsche Sprache.

Wüste_Marokko (c) WORLD INSIGHT

Die Wüste Marokkos – Ahmeds Sehnsuchtsort und Grund für sein Engagement für den Naturschutz.

Natürlich gibt es für Ahmed noch einen anderen Grund für diese Entscheidung: „Nomaden ziehen immer weiter, auch deshalb bin ich Reiseleiter geworden“. Den konkreten und praktischen Schutz der Umwelt hat er auch nach zehn Jahren im Beruf als Reiseleiter nicht aus den Augen verloren. Zusammen mit Freunden will er in seiner Heimat den Umweltschutz mit sozialer Hilfe verbinden, ein Verein ist im Nachbardorf bereits gegründet. Das Projekt steht noch in den Startlöchern, noch braucht es Zeit und Geld. Gerade in den kleinen Dörfern, erzählt Ahmed, ist in Sachen Umweltbewusstsein noch einiges zu tun: „Die Leute müssen lernen, dass man nicht nur von der Natur lebt, sondern auch mit ihr.“ Doch er fügt hinzu, dass sich das Müllproblem Marokkos mittlerweile stark gebessert hat. Was sich allerdings in Zukunft noch bessern muss, ist die Entwicklung des Ökotourismus. Im Vergleich mit anderen Ländern hinkt Marokko in Sachen nachhaltiges Reisen noch hinterher. Doch auch da liegt etwas Zuversichtliches in seinen Worten.

Ahmeds Zuhause ist nach wie vor der Hohe Atlas. Seine Familie gehört zu einem Teil der Nomaden, die schon über Generationen sesshaft geworden ist. Wenn er nicht gerade als Reiseleiter unterwegs ist, verbringt er hier seine freie Zeit, geht gerne Wandern in der unmittelbaren Umgebung des Dorfes und auch schon einmal Klettern in einem zu Fuß sechs Stunden entfernten Tal.

„Das letzte Mal gegessen und getrunken? Um 4 Uhr morgens!“

Als ich mit Ahmed telefoniere, hat er seit acht Stunden weder etwas getrunken noch etwas gegessen. Zurzeit ist Ramadan, der Fastenmonat der Muslime. Das Fasten ist eine der fünf Säulen des Islam und damit fester Bestandteil des religiösen Lebens. Essen und Trinken ist erst erlaubt, sobald die Sonne untergegangen ist. Was für mich undenkbar klingt, ist für Ahmed völlig normal, auch wenn er zugibt, dass der erste Tag des Fastens nie einfach ist. Ahmed hat das letzte Mal um vier Uhr morgens etwas gegessen und getrunken: „Das Fasten ist reine Gewöhnungssache und absolut gesund. In Deutschland gibt es zum Beispiel das Heilfasten.“ Ganze sechs Kilogramm hätte er schon abgenommen während des diesjährigen Fastenmonats, verkündet Ahmed, und hört sich dabei wieder so an, als ob auch das ganz normal wäre.

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Ahmed (2. von links) trifft sich auf einen Pfefferminztee mit WORLD INSIGHT-Geschäftsführer Otfried Schöttle (1. von links).

Wenn die Sonne untergeht, ruft der Muezzin das Fastenbrechen aus. Essen und Trinken wird im Familienkreis zu einem besonderen Genuss. Nur die besten Leckereien kommen auf den Tisch, das Lieblingsessen von Ahmed ist die typisch marokkanische Tajine. Dabei wird Gemüse zusammen mit Fleisch in einem speziellen Kochtopf gegart. Besonders ist nicht nur die Gartechnik des Topfes, sondern auch die hohe Variabilität von Gemüse und Gewürzen. Letztere spielen gerade in der marokkanischen Küche eine sehr große Rolle. „Am leckersten ist die Tajine mit der Gewürzmischung Ras-El-Hanout“, schwärmt Ahmed. Diese ursprüngliche Gewürzmischung heißt übersetzt so viel wie „Chef des Ladens“, da die komplizierte Mischung nur vom Chef des Gewürzladens persönlich hergestellt werden darf – aus bis zu 25 verschiedenen Gewürzen!

Nach dem Fastenbrechen geht es für die Familien zum letzten Gebet des Tages in die Moschee. Zurück vom Gebet wird wieder gegessen und dazu der typisch marokkanische Pfefferminztee getrunken. Denn was den Deutschen ihr Bier, ist den Marokkanern der Pfefferminztee – ob in gemütlicher Runde im Café, oder beim Feiern einer Hochzeit.

Vielleicht liegt es daran, dass Ahmed einer unserer beliebtesten Reiseleiter ist, aber irgendwie habe ich das Verlangen nach einer Tajine mit Pfefferminztee bekommen – in einem idyllischen Berberdorf mit Blick auf die weiten Hänge des Hohen Atlas, die Wüste direkt vor der Haustür. Wer weiß, vielleicht ja auf einer Tour von WORLD INSIGHT mit Ahmed!

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